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KOMMENTARKujau zum zweiten

■ Die Stasi soll Barschel posthum den Griffel geführt haben

Mea culpa, Herr Stoltenberg — Sie hatten mit der Barschel-Affäre nichts zu tun. Seit Mittwoch sind Sie in der glücklichen Lage, allen Zweiflern das Maul zu stopfen, Stasi und Verfassungsschutz sei Dank. Eine Enthüllung der bundesdeutschen Geheimdienstler brachte es ans Licht: Der Übeltäter saß in der Ostberliner Normannenstraße. Posthum soll die Stasi Barschel den Griffel geführt haben. Zweifellos ein grandioser Fake. Seit Kujaus Hitler-Tagebüchern gab es keine so gelungene Vorspiegelung der Wahrheit wie Barschels Klagebrief an Stoltenberg, in dem er seinem Mentor eine gehörige Portion Mitverantwortung an der Affäre zuschob und zwischen den Zeilen mit unbotmäßigen Enthüllungen drohte. Alle Spekulationen, der Abgang Barschels sei alles andere als eigenhändig gewesen, erhielten durch diesen Brief natürlich neue Nahrung. Trotz heftiger Dementis: Der kühle Klare aus dem Norden begann sich unweigerlich einzutrüben.

Ist Stoltenberg also schweres Unrecht zugefügt worden, hat die Presse als verlängerter Arm der Stasi eine untadelige Politikerkarriere geknickt? Das Entsetzen kann sich in Grenzen halten. Jeder Fake ist nur so gut, wie seine Wahrscheinlichkeit mit der Wahrheit korrespondiert. Barschel war das Ziehkind Stoltenbergs, und der war während der gesamten Affäre der CDU-Landesvorsitzende in Schleswig Holstein.

Dem taz-Kommentar vom 19. Oktober 1988 ist auch heute nichts neues hinzuzufügen: „Im übrigen ist Fälschung gar nicht die relevante Frage. Auch eine — wie in diesem Fall — zugestandenermaßen gute Fälschung kann die Wahrheit enthalten. Auch ein echter Brief des toten Barschel kann gelogen sein. Eine lückenlose Aufdeckung der Vorgänge innerhalb der schleswig-holsteinischen CDU im fraglichen Zeitraum September/Oktober 1987 wäre glaubwürdiger gewesen.“ Jürgen Gottschlich

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