KOMMENTAR: Back to the Seventies
■ Berufsverbot für PDS-Richterin aus politischem Kalkül
Berlin an der Schwelle zum zweiten Jahrtausend ist eine der Lieblingsvisionen des Senats. Mit dieser Zahl füllt er gerne Logos und Sonntagsreden. Doch in seiner Tagespolitik ist er eher rückwärtsgewandt. Sein Ansinnen, einer Frau wegen ihrer Mitgliedschaft in der PDS den Zugang zum Richteramt zu verwehren, strahlt die Piefigkeit der siebziger Jahre aus. Damals wurde die Gesinnung von Beamtenanwärten durchforstet, vorgeblich, um die Verfassung zu schützen, tatsächlich, um politisch mißliebige Kandidaten loszuwerden. Das, was als Berufsverbote in die Annalen der Bundesrepublik einging, scheint nun wieder fröhliche Urständ zu feiern. Da meint ein Abgeordneter der CDU, Volljurist noch dazu, nach eigenem Gutdünken über die Verfassungsfeindlichkeit einer gleichfalls im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei befinden zu können. Das politische Kalkül stinkt gen Himmel. Juristen, die ehedem SED-Mitglieder waren, sollen im Justizwesen nichts zu suchen haben. Und was ist mit ehemaligen CDU-Mitgliedern? Gab es in ihren Reihen keine furchtbaren Juristen? Wenn der Senat die Frau vom Richteramt ausschließt, mag er damit die Lufthoheit über den diversen Stammtischen wiedergewonnen haben. Das von ihm soviel beschworene Vertrauen in den Rechtsstaat hat er damit nicht gestärkt. Bei den Bürgern der ehemaligen DDR muß eher der Eindruck entstehen, als würde auch unter den neuen Herren mit der Justiz nach Opportunität verfahren. Die Justizsenatorin und der Richterwahlausschuß haben den einzig gangbaren und beschwerlichen Weg gewählt, die Vergangenheit zu bewältigen: indem bei jeder Person im Einzelfall die Verstrickung im alten Regime geprüft und die Frage der Schuld beantwortet wird. Im übrigen mag die CDU einen Blick nach Sachsen tun. Dort liegt die Ablehnungsquote bei der Richterauswahl deutlich niedriger als in Berlin. Doch wer wollte der dortigen christdemokratischen Landesregierung unterstellen, sie würde bei den ehemaligen SED- Richtern beide Augen zudrücken. Dieter Rulff
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