KOMMENTAR: Geteilten Glaubens
■ Der Erneuerungsprozeß an der Humboldt-Universität darf nicht allein anhand von Stasi-Akten geschehen
Wem soll man glauben, den Akten oder den Aussagen? Die Akten gelten heute als Beweismaterial, die Aussagen als subjektives Verteidigungsritual. Finks StudentInnen glauben den Worten ihres Rektors. Sie haben ihn in den letzten zwei Jahren als integere und aufrichtige Persönlichkeit erlebt. Er war es, der immer sagte, was er dachte, der nie klein beigab und der sich nach dem Oktober 1989 nichts mehr aufzwingen lassen wollte. Er wurde zur Symbolfigur für einen eigenen Weg zu einer demokratisch verfaßten Universität gegen die Anpassung an die westlichen Verhältnisse.
Die Überzeugung von der persönlichen Integrität einer Person zählt kaum als Argument in Auseinandersetzungen um die faktische Verwicklung in Stasi-Strukturen. Der Senat verläßt sich hundertprozentig auf die vorgelegten Akten. Für die StudentInnen aber ist mit den wenigen Verlautbarungen aus der Gauck-Behörde noch nichts bewiesen. Die Akten könnten genausogut gefälscht sein. Bisher aber habe sich noch in keinem Fall ein Stasi-Vorwurf der Gauck-Behörde entkräften lassen, argumentiert wiederum der Senat. Aber dieser macht sich die Verurteilung leicht, weil er die Grauzonen im SED-Staat nicht wahrhaben will.
Alle diese Argumente haben ihr Recht. Dahinter aber stehen die jeweiligen Interessen ihrer Verfechter. Die StudentInnen fürchten mit ihrer Symbolfigur auch um die relative Autonomie der Hochschule und die Früchte der letzten zwei Jahre. Für den Senat dagegen würde mit Finks Abgang der Weg freigemacht, in die Prozesse an der Humboldt-Uni entscheidend einzugreifen. Ihm wären damit die rechtlichen und moralischen Mittel gegeben, endlich Tabula rasa an der ihm unbequemen Universität zu machen. Letztlich würde es damit dem Wissenschaftssenator auch gelingen, sein Prestigeobjekt Humboldt-Universität zu verwirklichen. Der Zeitpunkt kurz vor den Wahlen ist dafür günstig.
Egal ob sich der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe bestätigen wird oder nicht: Der von den HumboldtianerInnen beschrittene Erneuerungsprozeß darf nicht wegen der Verdächtigung eines seiner Protagonisten diskreditiert werden. Corinna Raupach/Anja Baum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen