KOMMENTAR: Bauchlandung
■ Die Welt reagiert mißtrauisch auf den ersten außenpolitischen Alleingang der Deutschen
Strahlend verkündete Genscher am 17.Dezember letzten Jahres seinen Sieg. Selbst Kohl ließ es sich nicht nehmen, den Bundesparteitag der CDU in Dresden zu unterbrechen, um zu verkünden: die EG folgt Bonn in der Jugoslawienpolitik. In der umstrittenen Frage der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens sei ein Kompromiß in Genschers Sinne erzielt worden. Tatsächlich hatte die EG sich auf einen Kriterienkatalog geeinigt, anhand dessen staatliche Neugründungen in Jugoslawien gemessen werden sollten. Erfüllen sie die Bedingungen, wollen die Staaten der EG sie anerkennen.
In Bonn hatte man bereits Wochen zuvor offiziell verkündet, noch bis Ende des Jahres die beiden katholischen Republiken diplomatisch anzuerkennen, auch wenn nur Italien und als Nicht-EG-Staat Österreich noch mitziehen würden. Natürlich war Genscher klar, daß das Eis, auf dem er sich damit bewegte, extrem dünn war und ist. Bis dato galt für die Bonner Außenpolitik ein eherner Grundsatz: innerhalb der EG auf keinen Fall gegen Frankreich, weltweit nicht gegen die USA. Doch plötzlich sollte es gleich gegen Frankreich, die USA und den UN-Generalsekretär gehen? Mit dem im Dezember erzielten Kompromiß schien zumindestens Frankreich wieder eingebunden und Dumas bereit, Genscher aus der Patsche zu helfen. Nun zögert Paris erneut und verweist auf den unsicheren Ausgang der Prüfung der einzelnen Republiken auf Grundlage des Kriterienkatalogs. Springt die französische Regierung vom Zug der Anerkennung wieder ab, steht Bonn eine Bauchlandung bevor.
Weltweit wurde mit Verwunderung registriert, daß ausgerechnet Italien, Österreich und Deutschland die Vorreiterrolle bei der Anerkennung Kroatiens zu übernehmen bereit waren. Nicht zu unrecht ist der deutschen Linken in der Vergangenheit immer vorgeworfen worden, daß sie ausgerechnet die Unterstützung der Pälestinenser zu ihrem besonderen Herzensanliegen gemacht hätte. Völlig unabhängig von der jeweiligen konkreten Situation vor Ort ist in Deutschland zu Recht jede Nahost-Debatte nur unter Vorbehalt möglich. Warum eigentlich gilt dann für Jugoslawien nicht, was im Nahen Osten selbstverständlich ist — daß es sich gerade den Deutschen verbietet, dort eine politische Vorreiterrolle zu spielen. Wiegen die Toten des deutschen Faschismus in Jugoslawien historisch etwa weniger schwer?
Für ihren ersten außenpolitischen Alleingang nach der Wiedervereinigung wären Genscher und Kohl gut beraten gewesen, ihre Durchsetzungskraft an einem anderen Objekt zu erproben. In der Sache selbst zeichnet sich bisher auch keine Rechtfertigung ihrer Politik ab: die Drohung mit der Anerkennung Kroatiens hat die Serben in keiner Weise gestoppt, eher im Gegenteil. Das Argument, die UNO hätte erst tätig werden können, wenn Kroatien zum anerkannten Völkerrechtssubjekt geworden wäre, ist durch die tatsächliche Entwicklung überholt.
Was Genscher erreicht hat, ist ein Wiederaufleben eines weltweiten Mißtrauens gegen die deutsche Außenpolitik. Leider zu Recht. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen