KOMMENTAR: Überfahrene Geschichte
■ Zu den Bauplänen im Nazi-Regierungsviertel
Es ist schon doll. Um Geschichte zu retten, gemeint ist das Baudenkmal Brandenburger Tor, soll Geschichte — die des ehemaligen Nazi-Regierungsviertels — einfach überfahren werden. Der Senat, der das Brandenburger Tor netterweise von Autoabgasen verschonen will, will nun die Behrenstraße als Umgehungs- und Ost-West-Verbindungsstraße über die sogenannten Ministergärten hinweg verlängern. Dort, wo der Durchbruch gemacht werden soll, residierte einst das NS-Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem sich südlicherseits das Reichspräsidentenpalais, das Auswärtige Amt, das Reichskanzler-Palais, die Reichskanzlei und die »Kanzlei des Führers« anschlossen. Die Bundesregierung wiederum beansprucht die Ministergärten, die Freiflächen westlich dieses geschichtlich so hochbelasteten und von der SED-Regierung einfach mit Wohnungen vollgeknallten Gebietes für sich. Sie will keinen Durchbruch der Behrenstraße, setzt aber die Option, in unmittelbarer Nachbarschaft des ehemaligen Nazi-Außenministeriums das Auswärtige Amt neu zu errichten.
Keine Mißverständnisse bitte: Diese Stätten des Terrors sind längst überplaniert, und es mutet angesichts der grassierenden Wohnungsnot auch unmoralisch an, von den Mietern in diesem Gebiet zu verlangen, sie sollten ausziehen und ihre Wohnungen dem Abriß freigeben — um etwas zu rekonstruieren, was höchstwahrscheinlich nicht mehr zu rekonstruieren ist. Aber es gäbe ja auch andere Formen des Erinnerns. Wenigstens kleine Zeichen hätte man hier längst setzen können. Das beste Beispiel für die Notwendigkeit solcher Zeichen ist die jetzige Debatte von stadtplanerischen Technokraten. Daß niemand mehr — außer Bausenator Nagel — auch nur eine Sekunde daran denkt, auf welchem Gelände hier gebaut werden soll, das ist schon doll. Ute Scheub
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