KOMMENTAR: Ihr Einsatz, Herr Diepgen
■ Rechtsstaat ist keine Frage der Opportunität
Bei der Aufklärung der DDR-Regierungskriminalität hat die Bundesregierung bisher eine erbärmliche Rolle gespielt. Das heillos überforderte Berlin ließ man mit dieser Arbeit alleine; Zusagen, westdeutsches Personal zu schicken, erwiesen sich als hohle Worte. Die Polizei arbeitet deshalb statt mit den notwendigen 500 Leuten nur mit 200, und die Abteilung bei der Berliner Staatsanwaltschaft ist erst seit kurzem komplett. Die Gründe für die regierungsamtliche Null-Bock-Mentalität sind vielfältig. Schließlich hat man in Bonn über lange Jahre intensive Kontakte mit jenen gepflegt, die man nun als Verbrecher abgeurteilt wissen will. Vieles könnte da vor Gericht zu Wort kommen. Die Vorwürfe an Justizsenatorin Limbach, nicht ausreichend genug zu ermitteln, sollen deswegen nur vom eigenen Versagen ablenken. Zudem ist das neuerwachte Bonner Interesse auch ein sehr begrenztes. Zum Kapitel Regierungskriminalität gehört schließlich auch die wohlwollende Behandlung eines Schalck-Golodkowski.
Nun aber will Bonn Taten sehen, will Honecker als ideellen Gesamtverbrecher präsentieren. Das Gezeter, daß in Berlin noch keine Anklageschrift fertig ist, offenbart ein bedenkliches Rechtsempfinden. Es geht Bonn offenbar nicht um eine sorgfältige Arbeit der Staatsanwaltschaft. Ahnt man am Rhein, daß gegen Honecker wahrscheinlich keine juristische Handhabe gefunden wird? Will man deshalb eine politische Anklage um des Prinzip willens, weil nicht einmal juristische Tricksereien wie bei Mielke in Sicht sind? Den Menschen in Ostdeutschland, die in einem überaus brutalen und schmerzhaften Prozeß um ihre Vergangenheit in der DDR ringen, tut man aber keinen Gefallen damit, rechtsstaatliche Kriterien der Opportunität preiszugeben. Es verlangte deswegen der politische Anstand, daß sich der Regierende Bürgermeister Diepgen bei der Schelte ausdrücklich hinter seine Justizsenatorin stellt. Oder sollte eine Rolle spielen, daß der Parteifreund Kohl auf die Sozialdemokratin Limbach einschlägt? Gerd Nowakowski
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