piwik no script img

KOMMENTARWem gehört der Holocaust?

■ Künstler sollen über Denkmal mitentscheiden

Der Weg ist das Ziel. Der alte Bernstein wäre wohl nicht böse, würde man seine politische Formel heutzutage auf die sogenannte Bewältigung der deutschen Vergangenheit anwenden. Denn diese Bewältigung — oder unmißverständlicher: Aufarbeitung, denn zu bewältigen gibt es ebensowenig wie wiedergutzumachen — kann nur ein Prozeß der immer neuen Erinnerung und gesellschaftlichen Diskussion sein. Sobald diese aber in vermeintlich endgültigen Wahrheiten jenseits der geschundenen und ermordeten Subjekte steckenbleibt, war alles umsonst, und die Denkmäler bleiben tote Steine.

Insofern ist der seit 1988 schwelende Streit, an welche Opfer das zu errichtende Holocaust-Denkmal erinnern soll, ein entsetzlich kontraproduktiver. Zumal alle Gruppen recht haben, denn jenseits der Fakten gibt es nicht die historische Wahrheit. Dennoch wurde der Disput zwischen den beiden Gruppen, wem denn nun der Holocaust gehöre, immer schrecklicher und unwürdiger, einige Vertreter gerieten sich schließlich sogar darüber in die Haare, ob die Vierteljuden schlimmer verfolgt worden seien als die Achtelzigeuner, oder umgekehrt, und übernahmen damit ungewollt sogar die rassistische Klassifizierung der Nazis. Da dieser Streit in dieser zugespitzten Form aber unentscheidbar ist, mag sich nun auch der Senat nicht die Finger daran verbrennen. Doch der Kultursenator hatte die rettende Idee: Die Künstler, die sich am Wettbewerb für das Memorial beteiligen, sollen (vor)entscheiden. Wer das überzeugendste Konzept vorlegt, dem geben wir den Zuschlag.

Nichts gegen Künstler, im Gegenteil. Aber sie sind nun mal keine sonderpädagogische Einsatztruppe mit Argumentsbauteilen und Fertigmeinungen. Und den Kompromiß im Mahnmalstreit, der den ganzen Sinn der Vergangenheitsdebatte zu unterhöhlen droht, können sie höchstwahrscheinlich auch nicht aus dem Boden stampfen. Das müssen die deutschen Politiker als Nachfahren der Täter schon selber tun. Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen