KOMMENTAR: Panzerkreuzer Boris Borissowitsch
■ Der Kampf Jelzins und Krawtschuks um die Kontrolle der Schwarzmeerflotte
Gäbe es in der GUS eine rational begründete Prioritätenliste dringlicher Probleme, so könnte als sicher gelten, daß die Zukunft der Schwarzmeerflotte auf ihr nicht figurieren würde. Ihre strategische Funktion gegenüber den USA und der Nato ist überholt. Was die Ukraine zum Schutz ihrer Küsten benötigt, könnte sie leicht aus dem Flottenbestand abzweigen. Für die „strategischen“ Teile der Flotte ließe sich eine der Nato- Konstruktion nachempfundene Lösung finden. Über den Rest könnte lange und lustvoll gefeilscht werden.
Aber so, wie es jetzt aussieht, droht die GUS am Streit um die Flotte zu zerbrechen. Der zu Beginn dieses Jahres vereinbarte Kompromiß — der „konventionelle“ Teil der Flotte an die Ukraine, der „strategische“ an die GUS — scheiterte schon an Definitionsproblemen. Die Admiralität erklärte, ganz als lebten wir noch in der Welt zweier rivalisierender Supermächte, daß die Flotte im Ganzen strategische Funktion habe, und wollte die Ukraine mit einer Handvoll Schnellboote abspeisen. Vor dem russischen Parlament donnerte Boris Jelzin: „Die Schwarzmeerflotte war, ist und wird russisch sein.“ Am Ende wechselseitiger, verbaler Kanonaden stand die Unterstellung der Flotte erst unter Krawtschuks, dann unter Jelzins Kommando.
Jelzin wird sich bei der Flotte durchsetzen, denn das Offizierskorps ist überwiegend russisch orientiert. Aber die Flotte würde ihre Basis verlieren. Aus dieser Schwierigkeit gäbe es kurzfristig nur eine Lösung: die Schwarzmeerflotte im Pazifik zu stationieren. Die ganze Auseinandersetzung verliert ihren harmlos-farcenhaften Charakter, wenn, was schon jetzt geschieht, die Frage nach der Zukunft der Krim mit ihr verknüpft wird. Die russische Bevölkerungsmehrheit der Krim, die erst seit Chruschtschows Tagen zur Ukraine gehört, hatte sich noch Ende letzten Jahres für die Unabhängigkeit der Ukraine ausgesprochen. Eskaliert der Flottenkonflikt, so wird eine massive Propaganda für die „Heimkehr“ der Krim nach Rußland nicht auf sich warten lassen. Jelzin, der bislang bei Verhandlungen über die Minderheitenrechte der Russen zum Beispiel in den baltischen Staaten sich als flexibel und entgegenkommend gezeigt hatte, gerät jetzt unter Druck. Zunehmend wird er in die Rolle des Retters der „geknechteten“ russischen Minderheiten gedrängt. Nur ein rasch durchgesetzter Kompromiß hinsichtlich der Schwarzmeerflotte kann ihn aus dem Dilemma befreien, entweder Gefangener der Nationalisten zu werden oder als Verräter an der eigenen Nation zu gelten. Christian Semler
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