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KOMMENTARWarum der Kopf rund ist

■ Das Bündnis 90 spricht sich für eine Vereinigung mit den westdeutschen Grünen aus

Warum der Kopf rund ist Das Bündnis 90 spricht sich für eine Vereinigung mit den westdeutschen Grünen aus

Die Sperrklausel des Grundgesetzes herrscht Grünen wie Bündnis 90 die Vereinigung auf. Das ist genauso evident wie die Tatsache, daß es für das Bündnis 90 keine Alternative zur Grünen Partei gibt. Woher dann die Insistenz, mit der Petra Morawe, Wolfgang Templin und ihre Freunde daran festhielten, in den Vereinigungsprozeß Organisationen einzubeziehen, die in ihrer Programmatik weit verbrauchter, in ihrer organisatorischen Substanz noch ausgezehrter sind als der große, grüne Bettgenosse? Die Grundthese, daß die westdeutschen Grünen nach wie vor einen konfrontativen Politikstil praktizierten und in ihrer Bündnispolitik auf die sozialdemokratischen Etatisten fixiert seien, ist, gemessen an der Entwicklung grüner Positionen seit Neumünster, maßlos überzogen. Fast scheint es so, als diene diese Abgrenzung, ergänzt durch das Selbstbild des „Bündnisses“ als einer offenen und „dialogischen“ Organisation, als Identitätskonstrukt, nachdem so viele Vorstellungen eines „dritten“ Entwicklungswegs an der Realität zuschanden geworden sind. Und doch — im Zögern der Brandenburger Frondeure ist ein legitimes Motiv erkennbar.

Es betrifft das Mißtrauen, das viele Aktivisten des Bündnis 90 gegenüber der Fähigkeit der Grünen spüren, innezuhalten, quer auch zu den bisherigen eigenen Glaubenssätzen zu argumentieren, unvorhergesehene Allianzen einzugehen und neue Positionen, quasi im Handstreich, zu besetzen. „Der Kopf ist rund, damit die Gedanken ihre Richtung ändern können“ (Francis Picabia). Von diesem Mißtrauen wurden auch die Vertreter des Bündnis 90 im Bundestag nicht verschont — zu Recht.

Der Leitantrag zur Vereinigung mit den Grünen, vorgetragen durch den Abgeordneten Werner Schulz, ließ nichts spüren von den Chancen, die die Erosion der politischen Eliten in der BRD neuen Bündniskonstellationen — nicht nur auf Parteiebene, sondern vor allem gegenüber Individuen wie gesellschaftlichen Gruppen — eröffnet. War in dieser wohlgesetzten, von handlichen Metaphern durchwirkten Suada Schulz' überhaupt von politischen Einschätzungen die Rede, so betrafen sie das ökonomische Desaster in den neuen Ländern und die Gefahr von rechts. Die Öde und Inhaltslosigkeit dieses Diskurses rührt daher, daß die Krisensymptome lediglich benannt werden, um die Dringlichkeit der Vereinigung zu demonstrieren. Einer solchen vom Gestus der Sozialverteidigung lebenden Haltung verschließt sich der Blick auf die große Unruhe unter dem Himmel, auf die sich abzeichnenden Spaltungen der Lager, wie sie bis 1990 existierten, auf die Ratlosigkeit des politischen Führungspersonals. Morawe, Templin und ihre Freunde hatten diesem Bonner Kunstprodukt nur deshalb nichts entgegenzusetzen, weil sie die Suche nach neuen Freunden und Verbindungen auf ein, noch dazu untaugliches, erweitertes Parteivereinigungskonzept verengten.

Nicht also um die unvermeidliche Vereinigung geht's, auch nicht um deren Prozeduren. Sondern um den Stachel, den vielbesprochenen, der den Grünen im Fleisch sitzen soll. Ob das Bündnis 90 dieser lustvoll-schmerzzufügenden Funktion nachkommen kann, entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob sie die eigene Wunde, das „Unabgegoltene“ des Herbstes 1989, noch schmerzt. Christian Semler

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