KOMMENTAR: Genosse Beifahrer
■ SPD opfert die Verkehrspolitik dem Koalitionsfrieden
Berlin — der Mauer sei Dank — konnte nie als autogerechte Stadt ausgebaut werden. Der automobile Wahn brach sich an den geopolitischen Narben der geteilten Stadt. Dieser Zustand, so zynisch es klingen mag, könnte nun eine wertvolle Gabe für die Zukunft einer lebenswerten Stadt sein. Doch der Senat geht andere Wege. Die Entscheidungen zum Potsdamer Platz, zum Tunnel durch den Tiergarten und zum Ausbau des City-Rings fügen sich zu einem Entwurf, bei dem die Stadt für den Individualverkehr zugerichtet wird. Das aber muß die Stadt zuschanden richten. Wer neue Straßen baut, gebiert neuen Verkehr: Selbst ein ungebremster Ausbau der Straßen wird die Automassen nicht bewältigen können. Die große Koalition ignoriert dies; auf eine perfide Weise verkauft sie vielmehr die Asphaltorgie als einigende Klammer für die innerlich immer noch geteilte Stadt. Die Stadt derart dem automobilen Nachholbedarf der Ostberliner auszuliefern, mag sich decken mit dem ideologischen Stückgut der CDU. Schlimmer aber ist, daß dabei auch die SPD klaglos mittut.
Dabei weiß man in der SPD um die Sackgasse, in die Berlin und die gesamte Menschheit eingebogen ist. Der Senatspressesprecher Eduard Heußen und der Kreuzberger Bürgermeisterkandidat Peter Strieder haben als Vordenker der Berliner Partei in ihrem Stadtentwurf »Berlin 2000 — die sanfte Metropole« klug skizziert, wohin die Reise gehen müßte. Doch offenbar ist die SPD bereit, diese drängenden Zukunftsfragen auf dem Altar der Koalitionsdisziplin zu opfern. Der Effekt, daß politische Vorstellungen in der Regierungsarbeit klein gearbeitet werden, ist bekannt. Es ist Aufgabe der Partei, Kurs zu halten, Druck zu machen und Visionen zu entwickeln. Auch der Landeschef Walter Momper hat sich verrannt in die absurde Logik der Macht, die der CDU faktisch das Feld überläßt. Auch wenn der Widerspruch zwischen Landespolitik und den Interessen der SPD in den Bezirken immer schmerzhafter wird, hält Momper an der Vereinbarung zum City-Ring fest. Das Avus- Autorennen wird mitgetragen, aber die Genossen müssen den Rüffel einstecken, bei ihren Protesten gegen den City-Ring fehle ihnen die »Gesamtberliner Sicht«. Wie geht das zusammen mit dem Slogan der Kommunalwahl »Vorfahrt für Vernunft«? Wer zwingt die SPD, derart konturenlos zu sein und sich selbst zu verbieten, Klartext zu reden? Oder ist man froh, sich hinter dem Rücken des Partners CDU verstecken zu können, weil die das verwirklichen, was man sich nicht traut, laut zu sagen? Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen