KOMMENTAR: Marlene, wir lieben dir!
■ Die letzte Ehre für eine »Vaterlandsverräterin«
Marlene hau ab!« Solcherart Plakate wurden Marlene Dietrich bei ihrem letzten Berlin-Besuch vor 32 Jahren entgegengehalten. »Marlene hau ab!« heißt es nun auch wieder in den Leserbriefspalten der Springerpresse. Gegen das für Samstag geplante Begräbnis der Filmdiva in Berlin-Friedenau formiert sich Volksprotest, sichtlich von Neid und Eifersucht und dumpfem Nationalismus getragen. »Es gefällt mir nicht, wenn jemand sein Vaterland verleugnet«, leiht die Schauspielerin Evelyn Künneke der vox populi ihre Stimme.
Ach, ihr Armseligen und Beladenen. 47 Jahre nach Kriegsende immer noch beladen mit den Ressentiments der Verlierer und Verdränger. 47 Jahre nach Kriegsende immer noch am Schimpfen, Mäkeln, Motzen und Miesepetern.
Wie war das noch? »Völker dieser Welt, schaut auf diese Stadt.« Ja, tut es und lacht euch kaputt über dieses Volk hier, das in der deutschen Hauptstadt wohnen will, das europäische Metropole spielen möchte und gleichzeitig wie in Hinterfotzingen aus dem Fenster hängt und hetzt. Ob über den Unterrock, der der Nachbarin aus dem Kleid hängt, oder über eine lesbische Nazi-Hasserin — igittigitt! Welch ein peinliches und beschämendes Schauspiel: Die Welt schaut tatsächlich nach Berlin, auf das Begräbnis einer Weltbürgerin, und Berlin spuckt ihr auf die Füße.
Marlene, hoffentlich drehste dich nicht im Grab rum. Wir lieben dir nämlich. Gerade als »Vaterlandsverräterin« — oh hätten doch noch viel mehr als du diese dampfende braune Kacke gemieden. Aber auch als Frau, als Star, als Vamp, als androgyne Verführung. Und wir bewundern deine Haltung, zuletzt doch noch den Berlinern verzeihen zu können. Bloß: Sie werden dir nie verzeihen.
Wir werden ja sehen, ob der Regierende Bürgermeister den Satz von der letzten Ehre ernst nehmen und trotz der kommenden Wahl den Mut haben wird, dem dumpfnationalistischen Gegreine entgegenzutreten. Ute Scheub
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