KOMMENTAR: Intervenieren!
■ Nur Sanktionen gemäß der UNO-Charta könnten den Krieg in Bosnien beenden
Intervenieren! Nur Sanktionen gemäß der UNO-Charta könnten den Krieg in Bosnien beenden
Er sei noch nie einem Menschen begegnet, schrieb einst der französische Staatsphilosoph Joseph de Maître. Stets seien es Franzosen, Engländer, Spanier gewesen. Deswegen sei es unsinnig, von Menschenrechten zu reden. Daß der Nationalstaat einziger Garant des Schutz- und Freiheitsbedürfnisses der Bürger sei, gilt seitdem als konservativer Gemeinplatz. Die in der Tradition der Aufklärung stehenden Demokraten und Sozialisten hingegen proklamierten die Universalität der Menschenrechte. Sie sehnten eine Föderation freier Staaten herbei. Der Völkerbund und später die UNO galt ihnen als Vorboten dauerhaften Weltfriedens. Mit dem Ende der bipolaren Welt schien erstmals der Weg offen, unter Einsatz internationaler Zwangsmittel zu intervenieren, wo Menschen schutzlos der Willkür eigener oder fremder Machthaber preisgegeben waren.
Doch merkwürdig: Gerade die der Aufklärung verpflichteten politischen Kräfte scheuen davor zurück, jetzt zügig für den Aufbau und Einsatz der Institutionen einzutreten, wie sie Kapitel VII der UNO vorsieht, oder wie sie in den Beschlüssen der KSZE avisiert worden sind. Die üble Erfahrung des Golfkriegs, als die UNO von den USA und ihren Alliierten instrumentalisiert wurde, dient ihnen nicht als Ansporn zur Korrektur, sondern als Material der Denunziation. Speziell im Fall Jugoslawiens läßt sich eine besondere „Anatomie der Zurückhaltung“ erkennen. Der Schlüssel zu ihr besteht in der These, es gebe in der Region nur entfesselte Nationalismen und auf Regierungsebene der Republiken nur Täter, keine Opfer.
Es gibt keine „interne Lösung“ für den neuen Balkankrieg, auch die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas nach „ethnischen“ Kritierien wäre keine. Die Legalisierung von Massenvertreibungen brächte bestenfalls eine kurze Atempause. Unterhalb einer internationalen Intervention ist nichts mehr zu erreichen. Da außer Frage steht, daß die Belgrader Regierung die serbischen Freischärler in Sarajevo und anderwärts unterstützt, ist eine vollständige Wirtschaftsblockade einschließlich eines Öl-Embargos legitim. Ökonomische Sanktionen dieser Art sind jetzt im Weltsicherheitsrat auch durchsetzbar. Sie müßten aber ergänzt werden durch Maßnahmen, die Massenbombardement der Zivilbevölkerung zumindest von Flugzeugen und von Kriegsschiffen aus unterbindet. Notwendig — und möglich — wäre auch die Einrichtung von Schutzzonen für die Flüchtlinge.
Uns alle stellt der Krieg in Jugoslawien vor folgende Alternative: Entweder wir unterstützen eine Politik der UNO-Sanktionen einschließlich militärischer Aktionen als letztes Mittel. Oder wir verhalten uns nach Pfahlbürger-Art: Mögen sich die Barbaren da unten doch den Schädel einschlagen. Dann allerdings wäre es mit aufklärerischen und universalistischen Ansprüchen vorbei. Christian Semler
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