piwik no script img

KOMMENTARSchwierige Rechenspiele in der Tarifpolitik

■ BAG-Urteil setzt Angleichungsdynamik zwischen Ost und West in Gang, schafft aber eine neue Friktion

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes, wonach Ost-Bedienstete, wenn sie im Westen arbeiten, auch nach Westtarif bezahlt werden müssen, schafft Gleichheit, wo die bestehende Ungleichheit kaum mehr zu vertreten war. Denn wer konnte noch Verständnis dafür haben, daß er am Monatsende weniger im Portemonnaie hat als sein Kollege vom Nachbartisch, wenn er doch die gleiche Arbeit leistet? Eine Friktion zwischen Ost und West wurde beseitigt und zugleich eine neue hervorgebracht: zwischen Ost und Ost. Denn wer soll nun Verständnis dafür haben, daß er weniger im Portemonnaie hat als sein Kollege, nur weil der seinen Arbeitsplatz im Westen hat? Wurde bis dato die unterschiedliche Bezahlung noch mit den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten gerechtfertigt, so zwingt dieses gleiche Argument nun förmlich zu einer gleichen Bezahlung, denn wer wollte rechtfertigen, daß es im Osten Beschäftigte erster und zweiter Klasse geben soll. Der Spruch des Bundesarbeitsgerichtes hat einen Prozeß forciert, dessen Dynamik sich nicht auf die beschränken wird, die den Richterspruch angestrengt haben.

Der Senat hat dem Druck, der diesen Prozeß antreibt, bereits im Vorfeld Rechnung getragen, indem er die Osttarife im öffentlichen Dienst über das ausgehandelte Maß hinaus anhob. Für diesen Alleingang ist er von den anderen Bundesländern gescholten worden. Das Urteil des BAG kann er zu Recht als höchstrichterliche Bestätigung seines Vorgehens werten.

Für die Tariferhöhung hatte der Senat im Haushalt Vorsorge getroffen. Das jetzt ergangene Urteil wird das Land Berlin eine dreistellige Millionensumme kosten. Diese Kosten wurden nicht eingeplant. Die für die Lohnangleichung verausgabte Summe wird zukünftig noch schneller steigen, als bislang abzusehen war. Die Gelder werden in anderen Bereichen eingespart werden müssen, an dieser Umschichtung führt kein Weg vorbei. Sie bedeutet allerdings, daß es, entgegen den vollmundigen Ankündigungen des Bundeskanzlers, im Westen mit der Vereinigung auch einigen schlechter gehen wird. Dieter Rulff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen