KOMMENTAR ZUM KATASTROPHENSCHUTZ : Berlin kann es einfach nicht
Wie wichtig ist es, auf eine Reaktorkatastrophe größeren Ausmaßes vorbereitet zu sein? Muss eine Verwaltung in einer solchen Ausnahmesituation noch reagieren können, und wenn ja, wie? Oder ist das ohnehin egal, weil in Fall eines GAUs sowieso alle Berlinerinnen und Berliner über kurz oder lang tot sind. Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, ob man das komplette Versagen der zuständigen Senatsverwaltung für Arbeit lediglich als peinlich abtut, oder ob man es eher in die Größenordnung BER einordnen muss: Berlin kann nicht nur keine S-Bahn in Betrieb halten, keinen Flughafen bauen, sondern ist auch nicht in der Lage, seine Bevölkerung vor einem Strahlenunfall zu schützen.
Wer sich an die hektischen Reaktionen der Bundeskanzlerin nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 und den überraschenden Atomausstieg danach erinnert, pfeift auf das Argument, es gäbe in Berlin keine unmittelbare Gefahr. Klar, der Versuchsreaktor des Helmholtz-Zentrums in Wannsee hätte höchstens das Zeug, die unmittelbare Umgebung zu verseuchen. Und die DDR-Reaktoren in Rheinsberg und in Greifswald wurden schon 1990 abgeschaltet.
Doch der nächste Reaktor in Grohnde in Niedersachsen liegt lediglich 280 Kilometer entfernt. Und es werden wieder Reaktoren gebaut: Ein von der polnischen Regierung bei Stettin geplantes Atomkraftwerk wurde zwar durch massive Proteste der Bevölkerung verhindert. Doch nun will Polen bei Danzig ein AKW errichten. Dagegen protestiert zum Beispiel der Brandenburger Landtag. Zudem ist es inzwischen eine Binsenweisheit, dass radioaktive Strahlung nicht an Grenzen haltmacht und bei entsprechenden Wind- und Witterungsbedingungen auch in Berlin niederregnen könnte.
Die größere Entfernung zu einem möglichen Unfallort macht eine solche Übung sogar noch sinnvoller. Denn sie schenkt den Berlinern ein paar wertvolle zusätzliche Stunden, um reagieren zu können und sich vor den gröbsten Folgen der Strahlenwolke – zumindest kurzzeitig – zu schützen.
Vorausgesetzt, sie würden darüber rechtzeitig und korrekt informiert werden. Beides erscheint nach den Erfahrungen aus der Übung unwahrscheinlich zu sein. „Wäre der Termin und das Szenario der Übung nicht bekannt gewesen, hätte es mehrerer Stunden, wenn nicht sogar Tage bedurft, um einen arbeitsfähigen Stab zu installieren“, heißt es im Auswertungsbericht. Das ist mehr als peinlich. Es ist grob fahrlässig. Die Senatsverwaltung für Arbeit hat sich damit nicht nur vor dem Bundesumweltministerium blamiert. Sie hat den Berlinerinnen und Berlinern gezeigt, für wie unbedeutend sie deren Unversehrtheit hält.
Senatorin Dilek Kolat (SPD) verteidigt sich bis heute damit, dass ihre Verwaltung zu wenig Personal habe; zudem sei die Vorbereitungszeit durch die Veränderung der Zuständigkeit kurz gewesen. Das ist natürlich nicht falsch. Aber es reicht nicht, um eine Gefährdung der Berlinerinnen und Berliner zu rechtfertigen. Es geht hier um eine Frage der Priorität: Menschleben haben in Kolats Verwaltung offenbar keine. BERT SCHULZ