KOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN : Politische Semantik
Der Kampf um die politische Semantik ist nicht neu. „Begriffe besetzen“, wurde dies einst von Heiner Geißler genannt, als er noch CDU-Generalsekretär war. Nun wird in der Regierung darüber nachgedacht, ob man Hartz IV nicht umbenennen könnte. Bisher heißt es recht sperrig „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ – da lassen sich bestimmt schönere Namen finden.
Die neue Bezeichnung steht noch aus, doch das Ziel ist klar: Der Skandal der Ausgrenzung soll semantisch verschleiert werden. Doch jede Sprachpolitik gerät an eine Grenze – die schnöde Realität. Dies zeigt sich besonders gut an dem Begriff „Hartz IV“, der einst von Rot-Grün erfunden wurde. Eigentlich könnte kaum ein Wort neutraler sein. Es ist so nichtssagend wie „Basel III“, das die neuesten Eigenkapitalvorschriften für Banken bezeichnet. Trotzdem wirkt es längst wie ein diskriminierendes Schimpfwort, wenn Menschen als „Hartz-IV-Familien“ tituliert werden.
Die fünf Buchstaben „Hartz“ sind unschuldig an diesem Effekt. Sie sind nur ein etwas rauer, kratziger Laut. Zur Beleidigung werden sie, weil die soziale Realität beleidigend ist. „Hartz“ steht für Armut, für Perspektivlosigkeit, für Suppenküche. Sollte es nun plötzlich von Amts wegen „Basisgeld“ oder „Basissicherungsgeld“ heißen – dann würde binnen Kurzem eben „Basissicherungsgeld“ zu einem Wort, das für reale Diskriminierung steht.
An dieser Ausgrenzung will die Regierung jedoch nichts ändern. Noch ist zwar nicht bekannt, wie genau sie die Hartz-IV-Sätze künftig berechnen will. Aber es ist überdeutlich, dass sie die Leistungen nicht erhöhen möchte. Denn jeder Euro, der den Langzeitarbeitslosen zusätzlich gewährt wird, ließe auch die Zahl der „Aufstocker“ steigen. Die Armut betrifft ja längst nicht nur die Langzeitarbeitslosen. Auch viele Arbeitnehmer können nicht mehr von ihrem Gehalt leben. Diese Niedriglöhner hätten dann ebenfalls Anspruch auf staatliche Gelder, wenn das Einkommen der Hartz-IV-Empfänger steigt.
Der zentrale Trick der Regierung ist die Verbrauchsstatistik, die sie gerade schönt: Sie rechnet die Hartz-IV-Empfänger reich, auf dass sie so arm bleiben wie zuvor – damit sich die Armut der Geringverdiener weiter verbergen lässt. Was die Sprachpolitik nicht vermag, ist mit Statistik ganz einfach: Sie kann Realität kaschieren.