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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON TILLA MASBERG Polizeilich normierter Protest

Demo-Tugenden: Ordnung, Sauberkeit und Wachsfreiheit

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Wer für die Freiheit Irans auf Berlins Straßen eine Lichterkette organisiert, hat darauf zu achten, dass kein Wachs aufs Pflaster tropft. Beim Umkippen von Grab-, Wind- und Teelichtern etwa würde sonst das gute Pflaster Berlins „in Mitleidenschaft gezogen“, mahnt das Landeskriminalamt. Nachzulesen ist dies in einem Brief der Behörde an die Organisatoren der Lichterkette, mit der am Donnerstagabend der Toten im Iran gedacht wurde.

Was haben wir für ein Glück: Wo in Teheran Blut auf die Straße tropft, ist es in Berlin einfach nur Wachs. Blutzoll dort – Wachsflecken hier. Letzteres ist für die Behörden natürlich inakzeptabel. Immerhin ist „die Entfernung von Wachsrückständen mit erheblichem Aufwand und Kosten“ verbunden, schreibt das Landeskriminalamt. Berlin, du musst sauber bleiben!

Viele der Protestierenden vor der Gedächtniskirche sind selbst vor Jahren aus Iran geflüchtet. Jetzt bangen sie erneut um ihr Land, ihre Verwandten und Freunde, die dort protestieren. Diese DemonstrantInnen sehen das Blut, die deutschen Ordnungshüter aber sehen das Wachs. Ob beabsichtigt oder nicht: Der erhobene Zeigefinger des Landeskriminalamtes verletzt. Denn er sagt, was wichtiger ist: Ordnung, Sauberkeit, Wachsfreiheit. Das ist deutsche Tragik. Denn so wird klar, was weniger wichtig ist: die Freiheit der Menschen im Iran. Eine Stadt, die sich Weltstadt nennt, kann sich so etwas nicht leisten.

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