KOMMENTAR VON THOMAS GERLACH ZU RUSSLANDS EINMARSCH IN DIE UKRAINE : Putin will seine Datsche auf der Krim
Wladimir Putin ist offenbar die 50-Milliarden-Dollar-Party von Sotschi zu Kopf gestiegen. Zuerst nehmen gut organisierte Einheiten Regionalparlament und Regierungssitz der Krim ein, ein moskautreuer Parteivorsitzender trommelt seine Abgeordneten zusammen, setzt die Krim-Regierung ab und wird zum Statthalter erkoren. Dann bittet er Moskau um Schutz – den Wladimir Putin rasch gewährt. Es ist ein altes sowjetisches Drehbuch: Erst wird eine dem Kreml genehme Regierung installiert, dann folgt Hilferuf, dann Einmarsch. Prag und Kabul lassen grüßen.
Die Scharfmacher, die von Moskau nach Sewastopol gereist sind, haben ganze Arbeit geleistet. Zudem hat ihnen das ukrainische Parlament mit der Rücknahme des Sprachengesetzes in die Hände gespielt. Da musste man nur noch den örtlichen Hitzköpfen einheizen. Viele dieser prorussischen Demonstranten dürften längst einen russischen Pass haben.
Für viele russische Politiker war Sewastopol nie etwas anderes als ein Vorort von Moskau – mit russischem Haus, russischer Universität, russischen Marinesoldaten und „ruhmreicher“ russischer Geschichte. Die Verteidiger von Sewastopol gehören zum Grundstock russischer Mythen. Dass die Stadt russisch tickt, ist mit Händen zu greifen.
Mögen auch viele russische Staatsbürger glauben, dass die Krim schon immer zu Russland gehört. Doch längst nicht alle Russen auf der Krim sehnen die Vereinigung mit Russland herbei. Die Bewohner der Krim sind auch weniger in Blöcke unterteilt, als es erscheinen mag. Die Mehrheit, ob Russen, Ukrainer oder Tataren, will in Ruhe leben und eine wirtschaftliche Perspektive haben. Es ist vor allem der Tourismus, der sie ernährt. Und mit dem dürfte es vorerst vorbei sein. Moskau juckt das wenig. Hauptsache, es hat die Hand auf der Halbinsel.
Wenn da nicht noch die Krimtataren wären. Sie werden es nicht hinnehmen, in einem russischen Protektorat zu leben. Traditionell sind sie gemäßigt. Wie schnell sich junge Muslime radikalisieren können, sollte Wladimir Putin aber im Kaukasus gelernt haben.
Putin hat sich bisher als kalter Realpolitiker erwiesen. Nun, wo er vor den Trümmern seiner Zollunion steht, scheint er zum Hasardeur zu werden. Putin träumt schon lange davon, die Staatsdatscha Nr. 1 auf der Krim zu beziehen, in der sich schon Chruschtschow und Breschnew erholten. Der Kauf war 2004 schon unterschriftsreif, als ein Kiewer Gericht den Deal verbot. Nun könnte sein, dass Putin sein Häuschen in Jalta bald geschenkt bekommt. Der Preis dafür wird trotzdem hoch sein. Sehr hoch.