KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH ZUM BÜRGERKRIEG IN SYRIEN UND ZU DEN FOLGEN FÜR DIE REGION : Vorboten des kommenden Chaos
So hatte man es sich in Ankara mit dem Sieg der Freien Syrischen Armee (FSA) nicht vorgestellt. Kaum hatte diese einen der großen Grenzübergänge zwischen beiden Ländern erobert, wurden türkische Lkws geplündert und in Brand gesteckt. Kurz darauf dann der Duty-free-Shop. Kurz entschlossen ließ die türkische Regierung den Übergang schließen. Offenbar gerade noch rechtzeitig, denn wenn die Meldungen von der syrischen Seite stimmen, rückte später anstelle der ursprünglichen FSA-Kämpfer ein bunter Haufen islamistischer Fanatiker an, Männer aus benachbarten arabischen Ländern, die sich zum Teil als Al-Qaida-Anhänger ausgaben.
Die Tumulte am Grenzübergang Bab al-Hawa sind ein Vorgeschmack auf das Chaos, das in Syrien in den kommenden Wochen zu erwarten ist. Der bevorstehende Sturz des Regimes wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von einer kontrollierten Machtübernahme der Opposition begleitet werden, sondern in wilde Machtkämpfe ausarten, wenn es darum geht, wer innerhalb der Opposition wirklich das Sagen hat.
Für die Nachbarstaaten Syriens bedeutet das zunächst, dass sie sich auf mehr statt weniger Flüchtlinge einstellen müssen.
Auf die Türkei kommt aber noch ein weiteres brisantes Problem zu: Der östliche Teil der knapp 900 Kilometer langen Grenze mit Syrien ist praktisch eine türkisch-kurdische Grenze, denn dort liegen die Siedlungsgebiete der syrischen Kurden. Die Kurden haben sich aus den Kämpfen zwischen Assad und der sunnitischen Opposition weitgehend herausgehalten, weil sie auch von einer Regierung, die die Opposition stellt, nicht viel Gutes erwarten. Stattdessen haben sie sich mit Unterstützung der Kurden im Nordirak darauf vorbereitet, ihr Gebiet als autonome Region auszurufen.
Für die türkische Regierung, die laut den Sturz Assads gefordert hat, wird es kompliziert. Sie ist auf den Abgang des Assad-Clans so wenig vorbereitet wie die anderen Nachbarländer und steht vor allem der Kurdenfrage hilflos gegenüber. Statt mit den Kurden im eigenen Land an einer politischen Lösung zu arbeiten, setzt die Regierung auf Repression und nährt damit den Wunsch nach mehr Autonomie, wenn nicht gleich Unabhängigkeit. Grenzen lassen sich schließen. Die Probleme, die der Aufstand in Syrien mit sich bringt, wird die Türkei damit aber nicht außen vor halten können.