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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON HEIKE HAARHOFF ZUM DEUTSCHEN GESUNDHEITSSYSTEM System der falschen Anreize

Nötig ist eine neue Idee von Fortschritt. Und das bedeutet: verzichten

Seit etwa 40 Jahren schallt es durch das deutsche Gesundheitswesen: Sparen! Kosten begrenzen! Mehr Effizienz! Angesichts der jährlich wachsenden Gesundheitsausgaben lässt sich tatsächlich nicht leugnen, dass etwas im System schiefläuft. Denn obwohl Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ähnlichen medizinischen Niveaus einen sehr viel höheren Prozentsatz seines Bruttosozialprodukts für Gesundheit aufwendet, sind die Menschen bei uns nicht gesünder.

Auch die Überalterung der Gesellschaft erklärt nicht alles. Ökonomen haben ausgerechnet, dass die Steigerungen durch die demografische Entwicklung geringer sind als der Kostenzuwachs durch die Entdeckung neuer, teurer Therapiemöglichkeiten. Ein (auch) ökonomischer Blick auf das Gesundheitswesen ist – Stichwort: Ressourcenschonung – ethisch geboten.

Was aber passiert, wenn Ärzte vor allem rechnen, statt zu heilen? Auf der Strecke bleibt die Frage, ob ein Eingriff wirklich dem Patienten nützt. Wem das Wohl der Patienten ernst ist, der kann zu dem Schluss kommen, dass Qualität auch bedeutet, auf Operationen und das Verschreiben von Prothesen oder Medikamenten zu verzichten. Doch das deutsche Gesundheitssystem belohnt stattdessen ausschließlich die Quantität.

Absurderweise ist einer der wenigen Auswege, die das auf Einsparungen ausgelegte System seinen Akteuren lässt, auf Masse zu setzen. Wenn eine Knieoperation so schlecht bezahlt wird, muss man sich nicht wundern, wenn Ärzte möglichst viele Operationen durchführen, um doch noch auf ihre Kosten zu kommen. Konkret: Viele Ärzte bedienen dieses System der falschen Anreize, bestärkt von Pharmafirmen und Industrielobbyisten.

Wenn Politiker jetzt fordern, die leistungsorientierte Bezahlung von Chefärzten abzuschaffen, gegen korrupte Mediziner vorzugehen oder die Industrie zurückzudrängen, dann sind das gut gemeinte Schritte, die dazu geeignet sind, die Symptome eines kranken Systems kurzfristig zu lindern. Der langfristigen Behandlung der Ursachen dienen sie aber kaum.

Nötig ist eine neue Idee von Fortschritt. Nämlich nicht bloß technischer Art, sondern in Sachen Erkenntnis. Das bedeutet, das Selbstverständliche wieder zu lernen: Es lohnt sich, auf Therapien, die zwar Geld bringen, aber dem Patienten nichts nutzen, zu verzichten.