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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON HEIDE OESTREICH ÜBER DEN BUNDESTAGSBESCHLUSS ZUR FAMILIENPFLEGEZEIT Unbezahlte Arbeit wird endlich sichtbar

Frauen erledigen pro Tag anderthalb Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer

Bei aller Kritik: Die Familienpflegezeit ist ein Fortschritt. Zehn bezahlte Tage Auszeit ist für die erste Chaosphase, wenn ein Elternteil oder Partner pflegebedürftig wird, sehr viel besser, als wenn dafür Urlaub eingesetzt werden muss. Auch ein Rechtsanspruch auf die Reduzierung der Arbeitszeit für zwei Jahre mit Rückkehrrecht in die Vollzeit ist endlich nicht mehr ein Abschied auf Raten aus dem Job, wie er sich vorher aus Pflegesituationen ergab. Zwar hat die Union noch dafür gesorgt, dass dies erst für Firmen ab 25 Mitarbeitern statt wie geplant ab 15 gilt, aber so ist die Große Koalition: auf Kompromisse geeicht.

Gut feministisch könnte man sagen, dass endlich die unbezahlte Arbeit vieler Frauen sichtbar gemacht wird – und wenigstens zu einem (wenn auch geringen) Teil vergütet wird. Sie wissen schon: Frauen erledigen pro Tag etwa anderthalb Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Und man kann sagen: They make the world go round. 96 Milliarden Stunden unbezahlter Arbeit leisten die Deutschen im Schnitt – gegenüber 56 Milliarden Stunden bezahlter Arbeit. Ohne diese ganze Reproduktionsarbeit würde hier nichts laufen. Wer seine Arbeitskraft nicht reproduziert, der produziert bald nichts mehr.

Dass diese unbezahlte Arbeit nun allmählich anerkannt wird, kann man nur begrüßen. Denn mit der Vergütung wird wieder denkbar, dass nicht nur die Person mit dem Nebeneinkommen für die Pflege aussteigt, sondern auch der Mehrverdiener. Sprich: der Mann. Die fatale Aufteilung Mann – Beruf, Frau – Haushalt und Pflege wird ein winziges bisschen aufgeweicht. Dieser Weg muss noch weiterbeschritten werden: Die Pflege insgesamt braucht eine Aufwertung. Es muss Geld ins Care-System.

Zum Vergleich: Deutschland wendet pro Einwohner über 65 Jahren nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gut 2.000 Euro an Pflegeausgaben auf, Dänemark dagegen 6.300 Euro. Wo möchte man wohl lieber alt werden?

Autsch, ruft da der gemischte Chor: die Lohnnebenkosten! Schon die zehn bezahlten Pflegetage werden ein weiteres Loch in die Pflegekasse reißen. Die Beiträge werden steigen. Da gibt es allerdings nur einen Ausweg: Ein Teil der Pflege muss über Steuern finanziert werden.