KOMMENTAR VON ERIC BONSE ZUM BIZARREN STREIT ÜBER JEAN-CLAUDE JUNCKER : Das Ende von Merkiavelli
Gerade mal eine Woche ist es her, dass die Europäer ein neues EU-Parlament gewählt haben. Eine Sternstunde der Demokratie sollte es werden, zum ersten Mal sollten die Bürger den nächsten Kommissionspräsidenten bestimmen. Doch was seitdem passierte, hat nicht nur dem Wahlsieger Jean-Claude Juncker Schaden zugefügt. Es hat auch das ohnehin schwache Vertrauen in die EU weiter demoliert.
Schuld daran sind die Staats- und Regierungschefs, die sich zu einem völlig nutzlosen, ja kontraproduktiven EU-Gipfel in Brüssel getroffen haben. Statt dem Wahlsieger Juncker zu gratulieren und ihn zum nächsten Kommissionschef zu küren – wie es im Wahlkampf versprochen worden war –, ließen sie ihn auflaufen. Eine besonders üble Rolle kam dabei laut Medienberichten Kanzlerin Merkel zu. Sie stellte sich nicht nur an die Seite des britischen Premiers Cameron, der Juncker um jeden Preis verhindern will. Merkel verhinderte offenbar auch eine Abstimmung (die Juncker bestätigt hätte) und drohte ihrerseits mit einem Veto.
Dahinter steckt nicht nur die Angst vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU. Dahinter steht auch eine deutsch-britische Achse, die die EU bereits seit Jahren in Geiselhaft hält. Beim EU-Budget, beim Freihandelsabkommen TTIP und bei den Spionageaffären sorgten Cameron und Merkel dafür, dass ihr neoliberaler Kurs obsiegt – gegen das EU-Parlament.
Klar, beim Katholikentag in Regensburg hat sich Merkel öffentlich zu Juncker bekannt. Doch das kam zu spät und war zu vage. Statt offensiv für ihren Kandidaten zu kämpfen, ließ sie sich ein Hintertürchen offen: Sie strebe einen Konsens an – was ja nichts anderes heißt, als dass sie weiter auf Cameron Rücksicht nimmt. Und dessen Nein steht fest.
„Merkiavelli“ hat der Soziologe Ulrich Beck die Kanzlerin während der Eurokrise getauft. Kühl lächelnd spielt sie alle Schachfiguren gegeneinander aus, um am Ende als strahlende Siegerin vom Feld zu gehen. Möglich war dies allerdings nur, weil alle wichtigen Entscheidungen im Hinterzimmer ausgekungelt wurden. Doch das ist vorbei.
Merkiavelli steht unter dem Druck des Europaparlaments und einer neuen, wachsamen Öffentlichkeit. Jede Windung und Wendung wird beobachtet. Nun gilt es, den Machtanspruch des Rates zu brechen – und der europäischen Demokratie endlich zum Durchbruch zu verhelfen.