: KGB-Chef vom Obersten Sowjet bestätigt
■ Erste Befragung eines KGB-Chefs durch Parlamentarier / Der 65jährige Wladimir Krjutschkow bleibt weiter im Amt / In Berg-Karabach wächst die Spannung / Konflikte fordern ein weiteres Todesopfer / In Leningrad kritisiert Gorbatschow Konservative und Radikale
Moskau (ap/dpa - Der Chef des sowjetischen Geheimdienstes KGB, Wladimir Krjutschkow, ist gestern vom Obersten Sowjet der UdSSR in seinem Amt bestätigt worden. Wie die amtliche Nachrichtenagentur 'Tass‘ meldete, stimmten nur sechs Deputierte gegen ihn, 26 enthielten sich der Stimme. 'Tass‘ machte keine Angaben über die Zahl der anwesenden Parlamentarier. Der 65jährige Krjutschkow steht seit Oktober vergangenen Jahres an der Spitze des KGB.
In der ersten Befragung eines KGB-Chefs durch Parlamentarier in der Geschichte der Sowjetunion teilte Krjutschkow mit, daß bei den Grenztruppen des KGB 200.000 Mitarbeiter beschäftigt seien. Krjutschkow versicherte, daß der Staatssicherheitsdienst heute keine Dossiers mehr über Sowjetbürger anlege, kein geheimes Spitzelsystem mehr betreibe und keine Telefone mehr abhöre.
Der als Radikalreformer geltende Abgeordnete und ehemalige Moskauer Parteichef Boris Jelzin forderte in der Debatte eine Trennung der Bereiche Spionage und Gegenspionage, um „eine Monopolisierung zu verhindern“.
Im autonomen Gebiet Berg-Karabach haben sich die neuerlichen Konflikte zwischen Armeniern und Aserbaidschanern weiter verschärft. Ein Armenier kam bereits am Mittwoch auf bisher ungeklärte Weise bei Auseinandersetzungen ums Leben. Am Donnerstag berichtete die sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘ über ein „Pogrom“ von Aserbaidschanern in dem von Armeniern bewohnten Ort Schuscha. In der Hauptstadt Stepanakert habe eine aufgebrachte Menschenmenge ein Geschäft und das Büro des Flughafenvorstehers verwüstet. Die sowjetischen Behörden hätten Polizeioffiziere und Vertreter des Innenministeriums in das zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Gebiet entsandt. Bewaffnete Banden machten Ortschaften und Landstraßen unsicher und hätten den Busverkehr zwischen Stepanakert und anderen Ortschaften zum Erliegen gebracht.
Bereits am Mittwoch hat die Nationalitätenkammer des Obersten Sowjet drei Kommissionen eingesetzt, die sich auf unbefristete Zeit mit den Nationalitätenkonflikten um Berg -Karabach, den Forderungen der Sowjetbürger deutscher Nationalität sowie den Krimtataren beschäftigen werden. Mit Spannung wird in Moskau auch das für Ende Juli angesetzte ZK -Plenum zu „Fragen der zwischennationalen Beziehungen“ erwartet.
Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hat am Mittwoch vor dem Leningrader Parteikomitee konservative und radikale Kräfte des Landes in die Schranken gewiesen. In der Rede, die erst am Freitag in der Landespresse veröffentlicht wurde, sagte der Parteichef, „sowohl Konservative, die uns zurückwerfen wollen, als auch radikale Elemente und politische Abenteurer, die alles auf einmal erreichen wollen, müssen auf ihre Plätze verwiesen werden. Er bezeichnete das „Personalproblem“ als derzeit entscheidend für die Perestroika. Die „Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit der Lage im Lande“ sei auch darin zum Ausdruck gekommen, „daß eine Reihe von Parteifunktionären nicht in den Kongreß der Volksdeputierten der UdSSR gewählt wurden“. Damit spielte Gorbatschow auf den bisherigen Leningrader Parteichef Solowjow an, der auf dem Plenum durch den Reformer Boris Gidaspow ersetzt worden war.
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