KEINE GUTE BAR AM POTSDAMER PLATZ, ABER IN DER OHLAUER : Willkommen, Winter Vomit
VON RENÉ HAMANN
Ein Ausgehen & Rumstehen an einem Berlinale-Wochenende, ohne die Berlinale zu erwähnen? Unmöglich. War ja schließlich selbst da gewesen. Auf der Berlinale. Und das trotz Magenschmerzen. Am Freitag schien es sogar, als ob ich auf irgendeine exorbitante Art ansteckend wäre – ein befreundeter Servicemitarbeiter jedenfalls musste den Abendfilm absagen, weil er rund zehn Minuten nach unserem ersten Treffen einen Anfall von Magenkrankheit bekam. „Winter vomit“, so der englische Fachbegriff, habe ich auch gleich gelernt. Ins Kino, es gab „Man for a Day“, sind wir dann leider ohne ihn.
Im alten Sinne cool ist die Berlinale, was natürlich am Potsdamer Platz liegt, natürlich längst nicht mehr. Der Potsdamer Platz samt anliegenden Straßen und Plätzen ist ein toter Ort. Ein entleertes Ensemble von Gebäuden, das Funktionen folgt und Touristen lockt und durch die ewig gleichen Konsumorte schleust – mit anderen Worten: Es gibt nicht eine gute Bar am Ort, jedenfalls keine, in die man gehen würde, wenn nicht gerade Berlinale ist. Es gibt ja auch kaum einen gescheiten Kiosk oder einen Bäcker.
Ein Beutel aus Biowolle
Also steigt alles nach getaner Kopfarbeit (Filme sehen, Filme emp- und befinden) glücklich und froh in die Busse in die Reststadt. Nur schnell weg hier. Der M 41 fährt direkt zum Hermannplatz, am Anhalter Bahnhof lässt sich prima in den M 29 nach Kreuzberg umsteigen. Irgendwann kommt dann die Zone, in der man wieder komisch auffällt, weil man mit dieser Tasche herumläuft. Der roten Berlinale-Tasche, die diesmal ein Beutel aus Biowolle geworden ist.
Die Schilling-Bar in der Reuterstraße scheint ein recht angenehmer Ort zu sein. Die Bewirtung ist weder aufgesetzt freundlich noch neucool, sondern einfach und gerecht, selbst wenn der bestellte Kräuterschnaps dann nicht ganz so toll ist. So könnte jedenfalls eine Nachbarschaftsbar funktionieren: durchmischte Leute, trotzdem ambitioniertes Programm. Man kommt ins Gespräch, ohne das schale Gefühl, ungut bequatscht zu werden.
Ähnlich ist es im Café Sofa in der Ohlauer Straße. Obwohl es dort tatsächlich gemeinsames Tatort-Schauen gibt. Nach dem Sonntagsfußball. Muss man hier den weitreichenden Unterschied zwischen Tatort und Bundesliga erklären? Weiß man nicht in beiden Fällen eher selten, wie es ausgeht? Es ist ungefähr so: Das eine ist spießig, das andere eher normal. Weil eben auch ökonomisch bedingt – Tatort ist frei empfangbar und könnte also auch zuhause geguckt werden. Wenn es denn unbedingt sein muss. Fußball nicht, es sei denn, man hat diese Supidupi-Box mit Riesenflachbildschirm. So macht das öffentliche Fußballschauen die Angelegenheit fast schon wieder zu einem solidarischen Akt, zu einem sozialen Zeichen. Man guckt zusammen, weil man es alleine nicht kann. Tatort bleibt dagegen bundesrepublikanisch muffig (man guckt es höchstens zusammen, weil man alleine nicht will).
Aber nochmal zurück zur Frage: Wie ist es mit der Berlinale? Die Berlinale ist eher eine Art Raumschiff, das einmal im Jahr auf der Brache landet, auf der früher einmal eine Magnetbahn herumgeschwirrt ist und eine Mauer stand. Ein Mutterschiff mit vielen kleinen Tochterraumschiffen, lauter Unterwettbewerben, da blickt kaum eineR mehr durch.
Ich persönlich wäre ja für eine Zwangsreduktion – nur noch Wettbewerb und dann noch pro Tag einen Sonderfilm, mal dies, mal das, mal Retro, mal Kinderfilm, mal neu und deutsch, oder so. Nur so wäre garantiert, dass alle alles geguckt bekommen – inklusive den Leuten, die sich in den Potsdamer-Platz-Arkaden (herrje!) die Beine in den Bauch stehen, um Publikumskarten zu bekommen.