KEINE ESELSBRÜCKEN : Unter der Erde
Hat eine U-Bahn-Station mehr als einen Ausgang, wird es kompliziert für mich. Es gibt Menschen, die wissen genau, aus welcher Himmelsrichtung ihre unterirdische Bahn kommt und auf welchem Breitengrad das Geschäft, Kino oder Restaurant liegt, in das sie oberirdisch wollen. Ich bin, was so was angeht, ein absolut blindes Huhn.
Wenn ich am Rosenthaler Platz aussteige, weil ich ins Café „Oberholz“ will, spielt sich stets die gleiche Szene ab. Ich steige aus und gehe nach links. So weit ist alles klar. Doch nach der ersten Treppe wird’s schwierig. Ich bleibe unschlüssig vor dem Backstand stehen und betrachte die Brote und Brötchen, als könnten sie mir sagen, ob ich sie links oder rechts liegen lassen soll.
Tausendmal habe ich versucht, eine Eselsbrücke für den Backstand oder den Kiosk daneben zu bauen. Weil aber Nichts mit „O“ wie Oberholz“, „r“ wie rechts oder „l“ wie links anfängt, beginnt jedes Mal das gleiche Spiel von vorn.
Es ist ein Spiel, aus dem ich in der Regel als Verlierer hervorgehe. Prompt lande ich auf der falschen Straßenseite und muss eine Strecke zurücklegen, die ich mir sparen könnte, wenn ich kein so blindes Huhn wäre. Stehe ich dann an der roten Ampel und blicke über die Kreuzung hinüber zum „Oberholz“, halte ich es bisweilen für möglich, dass Unbekannte des Nachts Gebäude umstellen, um mich fertig zu machen.
Auch nach über zwanzig Jahren in Berlin stellt sich an der U-Bahn-Station Schillingstraße, wo ich aussteige, wenn ich ins Kino „International“ gehe, die immer gleiche Frage: Rechts oder links raus? Erwische ich ausnahmsweise den richtigen Ausgang, fühle ich mich wie Kolumbus. Beim letzten Mal hatte ich zwar den richtigen Ausgang genommen, aber der Filmtitel trübte ein wenig meine Freude über meine Orientierung. Es lief „Halt auf freier Strecke“.
BARBARA BOLLWAHN