KATHARINA GRANZIN Crime Scene : Verbrecher und Verteidiger
Der Kriminalroman hat etwas durchaus Kathartisches, ja gar Eskapistisches. Denn wenn auch in seiner modernen pessimistischen Variante der Bösewicht nicht immer gefasst werden kann, so gibt es doch fast immer jenes beruhigende Yin und Yang von Chaos und Ordnung, Böse und Gut, Verbrechen und Verfolgung. Wahrscheinlich erfreut das Genre sich auch deswegen solcher Beliebtheit als Entspannungsliteratur. Gerade das aber weist darauf hin, dass Yin und Yang vielleicht gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und dass jenseits der Genrewelt das Chaos einfach größer als jede Ordnung ist.
Ferdinand von Schirach ist Strafverteidiger. Das scheint ein abwechslungsreicher Beruf zu sein, wenn man von den Erzählungen in seinem Buch „Verbrechen“ auf seinen Arbeitsalltag schließen kann. Als Autor hat von Schirach nicht den einfachen Weg gewählt. Seine Texte verzichten beim Umgang mit dem schwer Vorstellbaren auf populäre Erzählmuster und konzentrieren sich auf das Wesentliche: die Tat und wie es dazu kam. Es sind literarisierte Fallbeispiele, deren Essenz man durchaus aus der Literatur kennt. Darunter der Klassiker: der Mann, der seine Frau nach vierzig Ehejahren erschlägt, weil er sie nicht mehr erträgt. Das Melodram: die junge Frau, die ihren unheilbar kranken Bruder aus Liebe ertränkt. Die Tragikomödie: der Bankräuber wider Willen, der nichts Böses tun, sondern einfach zu seiner Familie zurückwill und für den die Schöffen nach dem Urteil das Flugticket kaufen.
Dass all diese Geschichten so oder ähnlich passiert sind (der Autor hat sie seiner beruflichen Praxis entnommen und so verändert, dass sie nicht nachrecherchierbar sind), ist im Grunde irrelevant. Was an diesem Buch vor allem in Bann schlägt, ist die Formvollendetheit, die reine Sprachästhetik von Schirachs Prosa, die in einem eigenartigen Spannungsverhältnis zu ihrem Thema steht. Schirach schreibt nicht über das Verbrechen, er formt das Verbrechen zu Literatur. Er überwindet nicht schreibend das Chaos, sondern erhebt es zu einem ästhetischen Phänomen. Das ist faszinierend und beunruhigend zugleich.
■ Ferdinand von Schirach: „Verbrechen“. Piper, München 2009, 208 Seiten, 16,95 Euro