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Archiv-Artikel

KARLSPREIS FÜR CIAMPI: ITALIEN IST MEHR ALS SEINE REGIERUNG Ehrung für einen, Mahnung an viele

Italien in Europa, das hieß in den letzten Jahren vor allem eines: Negativschlagzeilen. Ob Silvio Berlusconis Injurien gegen Martin „Kapo“ Schulz im Europaparlament, ob der Widerstand der italienischen Regierung gegen den Europäischen Haftbefehl, ob Rocco Buttigliones Ausfälle gegen homosexuelle „Sünder“ und Mirko Tremaglias Nachkarten gegen eine von „Schwuchteln“ dominierte EU – die italienische Rechtsregierung nutzte viele Gelegenheiten, um zu zeigen, dass sie nicht nur in den Innenpolitik, sondern auch im Ressort Internationales für allerhand zweifelhafte Neuerungen steht.

Da kommt der Karlspreis für Italiens Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi gerade recht. Er erinnert Europa daran, dass es auch noch ein anderes Italien gibt. Ciampi, erst Weltkriegssoldat, dann Widerstandskämpfer, gehört zu jener Generation, die aus Schaden klug geworden ist. Nicht erst als Staatspräsident seit 1999 machte Ciampi sich zum Sprecher der europäischen Einigung in Italien; schon vorher leistete er als Schatzminister den entscheidenden Beitrag, um Italien in den Euro zu führen. Entsprechend beliebt ist der alte Herr in Europa, und entsprechend populär ist er unter den Italienern. Die mögen den überzeugten Europäer, weil auch sie in der übergroßen Mehrheit an Europa glauben – weil der in Deutschland beliebte Kampfbegriff „Eurokratie“ für sie ein Normalzustand ist.

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Regieren lässt sich die Mehrheit der Italiener lieber von Berlusconi als von Ciampi. Ebenso dezent wie deutlich zog der Staats- dem Ministerpräsidenten die Grenzen. Ciampi verweigerte mehrfach – wie gerade jetzt erst bei der Justizreform – Berlusconi-Gesetzen die Unterschrift oder sorgte per Präsidenten-Ukas dafür, dass Italien nicht mit Kampftruppen im Irakkrieg dabei war. Doch das praktische Geschäft besorgt Silvio Berlusconi. Er hat den Werktagsjob, Ciampi ist für die Sonntagsreden da. Deshalb ist der Karlspreis dieses Jahr nicht bloß eine persönliche Ehrung, sondern auch ein politisches Signal – an jene Italiener, die Ciampi mögen, aber Berlusconi wählen. MICHAEL BRAUN