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Archiv-Artikel

KANZLER SCHRÖDER DÄMMERT: KOMMISSIONEN ERSCHWEREN DIE ARBEIT Die Selbsterfahrungs-Republik

In der Bundesrepublik findet ein Großversuch statt. Wir alle sind die Teilnehmer, die Politik gibt die Versuchsanordnung vor. Deren Arbeitsaufgabe lautet: Wie bringt man den WählerInnen bei, dass im Sozialsystem Veränderungen anstehen, die auch der Mehrheit etwas Verzicht abverlangen ? Wie vermeidet man, dass die Bürger dann aus lauter Empörung die Regierung gleich abwählen? Die Arbeitsaufgabe ist knifflig – sie hat zur Folge, dass sich die Politik plötzlich besonders pädagogisch gibt. Die politische Pädagogik boomt. Mit bunten didaktischen Methoden.

Eine ist die Methode „Pfadfinder-Feeling“: Man kündigt die Kürzungen an wie einen Härtetest, an dem der Bürger nur reifen kann. Augen zu und durch, durch die Auslagerung des Krankengeldes! Überwinden wir unseren inneren Schweinehund! An dieser Pfadfindermethode hat sich Schröder in seiner jüngsten Regierungserklärung versucht.

Ein zweiter Weg ist die Methode „Objektivität durch Experten“. Was nichts anderes bedeutet als eine neue Kommission. Genauer gesagt: die Rürup-Kommission, die in den nächsten Monaten ihre Vorschläge für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung präsentieren soll. Hochkarätige Denker und Macher vereine die Kommission, hat Bundeskanzler Schröder einst gelobt – nur stellt sich jetzt heraus, dass das Gremium so seine Nachteile hat. Denn erstens kommt der eine oder andere Fachmann zu Ergebnissen, die der Politik dann doch nicht behagen, wie etwa Kopfbeiträge und mehr Steuerfinanzierung in der Krankenversorgung. Und zweitens gibt es in einem solchen Gremium nicht plötzlich einen Konsens über Sozialkürzungen, sondern aufmüpfige Minderheitenvoten, etwa der Gewerkschaften.

Vielleicht, so dämmert wohl auch dem Kanzler, wird mit der Rürup-Kommission eben doch nichts einfacher, sondern komplizierter? Besonders dann, wenn man die Mitglieder der Kommission zum öffentlichen Schweigen verurteilt hat, was bedeutet, dass die vielen geheimen Hintergrundgespräche die Gerüchteküche umso heftiger zum Brodeln bringen?

Kanzler Schröder hat jetzt damit gedroht, die Kommission aufzulösen, wenn die Mitglieder nicht aufhören, ihre Vorschläge halböffentlich herumzutratschen. Am Ende spricht immer der Chef das Machtwort – auch das ist eine Methode der politischen Pädagogik, wenn auch keine besonders originelle. Dass nur niemand glaubt, Deutschland sei in der Sozialpolitik chaotisch – das könnte gewisse Assoziationen wecken. An eine Selbsterfahrungsgruppe. BARBARA DRIBBUSCH