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Archiv-Artikel

KANZLER SCHRÖDER BRÜSKIERT DIE GEWERKSCHAFTEN, DA ES POPULÄR IST Der kollektive Wahnsinn

Unser Kanzler glaubt an Meinungsumfragen und beschäftigt gern die Demoskopen. Das bedeutet: Er hat keine Meinungen, er macht keine Meinungen, er folgt ihnen. Im Augenblick gibt sich der Kanzler kompromisslos gegenüber den Gewerkschaften und will höchstens „Details“ an seiner Agenda 2010 verändern. Das kann nur heißen, dass Schröder die Mehrheit der Deutschen hinter sich weiß. Die Gewerkschaften haben schon verloren, noch bevor sie das erste Protestplakat schwenken. Ihre Kundgebungen werden niemanden überzeugen, vielleicht nicht einmal die eigenen Mitglieder. Die Entscheidung ist gefallen: Die meisten Wähler sind bereit, bei den Arbeitslosen zu sparen; man findet sich damit ab, das Krankengeld künftig selbst zu versichern.

Die Devise lautet: „Gürtel enger schnallen.“ Viele Deutsche glauben, dass Opfer zu bringen sind, damit es wieder aufwärts geht. Dabei scheint es eher zu beruhigen als zu bestürzen, dass die Opfer einseitig ausfallen und die Arbeitgeber entlastet werden. Es herrscht eine Art Kinderglauben: Wenn wir nur brav genug sind und uns stark genug einschränken, dann werden wir belohnt, weil wir es uns verdient haben. Dann werden die Unternehmer viele neue Jobs schaffen. Die Gewerkschaften können aufgeben – gegen diese paradoxen Erwartungen sind sie machtlos: Die Wähler wissen schon, dass es ungerecht zugeht, aber das ist ja gerade das Gute.

In ihren strategischen Zirkeln hoffen die Gewerkschaftsführer zumindest auf späte Einsicht der Massen. Wenn die Arbeitslosigkeit in einem Jahr immer noch bei real fünf Millionen Menschen liegt, dann muss doch einfach jeder merken, dass Kürzungen bei den Sozialleistungen nichts bringen! Doch dieser Optimismus dürfte unbegründet sein. Ganz im Gegenteil werden sich die meisten Bürger denken, dass die Opfer eben noch nicht hoch genug waren. Schon jetzt ist abzusehen, dass als Nächstes die Unfallversicherung aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen gestrichen wird. Und wieder würden die Unternehmer profitieren. Hinzu kommt noch die Steuerreform, die mit ihren zwei weiteren Stufen vor allem die Spitzenverdiener entlastet.

Gleichzeitig klagen alle, dass die „Binnennachfrage“ in Deutschland stagniert. Die Wirtschaft wächst kaum, da sich immer weniger finden, die die hergestellten Waren kaufen. Wenn die unteren Schichten nun immer neue Opfer bringen müssen, verschlimmert das die Lage nur. Zu besichtigen ist ein kollektiver Wahnsinn. Aber das messen Meinungsumfragen nicht. ULRIKE HERRMANN