KAI SCHÄCHTELE WUTBÜRGER : Werben und siegen
Die Rettung der Welt ist mir ein täglicher Auftrag und so möchte ich heute allen die Sorge nehmen, dass es bald vorbei ist mit dem Journalismus. Es weiß im Moment ja niemand, ob man in Zukunft noch genug Geld damit erwirtschaften kann, um die ganzen Zeitungen, Magazine und das Internet voll zu schreiben. In der vergangenen Nacht aber ist während eines unruhigen Schlafs die Lösung über mich gekommen. Meine Idee: Überall dort, wo Menschen lesen, steht oder sitzt künftig jemand daneben, der Werbebotschaften quasselt. Die Leute glauben, ihre Lektüre unbehelligt fortsetzen zu können. In Wirklichkeit aber tritt sie in den Hintergrund und für die Werbung ist der Weg frei direkt ins Unterbewusstsein. Brillant, nicht wahr? Doch die Lorbeeren gehen nicht an mich. Sie gehen an die Erfinder der LED-Banden in Fußballstadien.
Es ist jetzt etwa fünf Jahre her, seit in der Bundesliga statt normaler Werbebanden LED-Anzeigen auftauchten, auf denen es flimmert und leuchtet und auch mal ein Rennauto vorbeiflitzt. Für die einen ist es die Vollendung der Blatterisierung des Fußballs, die den Sport zum Beiwerk hat verkommen lassen für die wirtschaftlichen Interessen von Konzernen und vom Sepp. Für die anderen ist es der längste Orgasmus der Werbeindustrie. Die Befragung einer Kölner Sponsoring-Beratung ergab wenige Monate nach dem Start, dass sich von 300 Fernsehzuschauern einen Tag nach einer Fußballübertragung fast doppelt so viele an LED-Werbung erinnerten wie an die auf Banden.
Dass sich Fans, die sich eigentlich nur ein Fußballspiel ansehen wollen, von dem ständigen Gezuckel im Hintergrund gestört fühlen könnten, ist nicht nur egal, sondern auch Grundidee des Konzepts. Die erhöhte Aufmerksamkeit für diese Art der Werbung lassen sich die Bundesligavereine teuer bezahlen.
Wundern Sie sich also nicht, wenn es gleich bei Ihnen klingelt. Das bin dann ich, der sich neben Sie setzen und leise vor sich hin murmeln wird. Ich tue das nicht für mich. Ich tue das für die Rettung des Journalismus.
■ Hier wüten abwechselnd Kai Schächtele und Isabel Lott