K.-P. KLINGELSCHMITT ÜBER ÄLTER WERDEN : Gegen deutsche Generationen-Hetzer
Warum müssen Kinderlose eigentlich immer mehr einzahlen? Weil die anderen neidisch sind
Liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Kürzlich war bei uns KINDERLOSEN – wie jeden ersten Montag im Monat – wieder Zahltag. Wie gut, dass meine Frau auch gleich an das neue zusätzliche Elterngeld – Konjunkturpaket II – gedacht hat; so brauchten wir nicht gleich zweimal rüber zu den Nachbarn mit ihren drei Kindern. Wie immer saß die junge Familie M. erwartungsfroh am Küchentisch. Und als wir dem braven Vater Erziehungs-, Kinder- und Elterngeld – zusammen über 1.000 Euro – in bar auf die Hand gezählt hatten, packte ich (Haus-)Frau M. und ihre Kleinen gleich noch ins Auto und fuhr mit ihnen zum Kinderarzt und danach zum Gynäkologen. Wie hoch die Arztrechnungen sein werden, wissen wir allerdings erst, wenn die Liquidationen bei uns eintreffen; wir überweisen das Geld dann direkt an die zuständige Stelle des Finanzamts.
Natürlich zahlen wir gerne. Schließlich hat sich das Ehepaar M. in dem schicken Haus nebenan die drei Kleinen ja nicht aus Lust und Laune – und schon gar nicht etwa aus LIEBE – angeschafft, sondern wegen der Rentensicherheit; und aus Sorge um die Zukunft Deutschlands natürlich. Weil WIR auszusterben drohen. Weil wir – also meine Frau und ich – uns aber der von den Stammtischpolitologen und ihren journalistischen Helfershelfern (Kartoffelbrei Teil eins) auch permanent propagierten Zeugungs- und Gebärpflicht ganz bewusst entzogen haben, müssen und wollen wir eben zahlen. Als Doppelverdiener 50 plus können wir uns DAS ja auch leisten; wenn auch nur knapp.
Zugegeben. Das war jetzt etwas dick aufgetragen. Aber ich kann das ganze Geschwätz von der Verfrühstückung der Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder durch uns Ältere und unsere angebliche UNART, es uns gut gehen zu lassen, auch in diesem speziellen Zusammenhang wirklich nicht mehr hören; und das dazu ganz und gar nicht passen wollende Lamento vom AUSSTERBEN der Deutschen erst recht nicht. Was wäre so schlimm daran? Die Mieten würden fallen, und Staus auf Autobahnen wären obsolet. Schon die Hethiter sind ausgestorben. Die Ostgoten auch.
Es sind doch wir schon etwas älteren, längst in jeder Beziehung emanzipierten Paare der vergessenen Gattung DINKS (Dopple Income No Kids), die gleich zweimal Steuern und Krankenkassenbeiträge zahlen, mit denen dann – zu Recht (damit keine Missverständnisse aufkommen), schließlich sind WIR doch eine Solidargemeinschaft – die familiären Sozialleistungen bezahlt werden und die es den Kindern und den nicht arbeitenden Ehegatten von allein verdienenden Familienoberhäuptern auch erlauben, ärztliche Leistungen quasi umsonst – nur Pappi zahlt den Krankenkassenbeitrag – in Anspruch zu nehmen. Und gibt’s wieder auf die Zwölf; es sind doch gerade wir Älteren – insbesondere auch die Generation 60 plus (die neue Konsumentengeneration) –, die den ganzen Jammerladen hier am Laufen halten, wovon die Generationen der unter 50-Jährigen und speziell auch die irritierende Generation doof (Buchtitel) – Nenne drei skandinavische Länder: Schweden, Holland, Nordpol – ganz aktuell profitieren.
Deshalb: Lasst uns doch endlich in Ruhe, ihr Schwätzer und (Generationen-)Hetzer. Lebt euer eigenes Leben – wenn ihr dazu überhaupt (noch) fähig seid. Und neidet anderen das ihre nicht. Und wartet bloß nicht auf die nächste Alimentierung von uns! Sonst gibt’s wieder auf die Zwölf; und dann?
Exkurs: Liebe Altersgenossinnen und -genossen. Lassen Sie sich von niemandem Senior respektive Seniorin nennen; und schon gar nicht von Politikerinnen respektive Politikern, die älter sind als WIR alle. Verlassen Sie umgehend Lokale mit Seniorentellern auf den Speisekarten. Zerreißen Sie die Broschüren der Parteien für Senioren. Und gehen Sie nie zur Seniorengymnastik, sondern turnen Sie daheim oder im Wald mit Ihrer festen Beziehung und/oder Freundinnen respektive Freunden. Das sind Sie sich und UNS allen schuldig.
Rein: Richard David Precht: „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“
Raus: Wieder nix.
K.-P. KLINGELSCHMITT
ÄLTER WERDENEin ungerechtes System? kolumne@taz.de Dienstag: Joachim Lottmann über MARX 2.0