Jurist über ESM-Klage: „Es käme zu Panikreaktionen“
Der Verfassungsrechtler Franz Mayer über die Klage gegen den Eurorettungsschirm, das Bugdetrecht des Bundestags und Phantomdiskussionen.
taz: Herr Mayer, hebelt die Europäische Zentralbank EZB mit der Entscheidung, wieder Staatsanleihen verschuldeter Staaten zu kaufen, das Parlament aus?
Franz Mayer: Ich glaube nicht. Die EZB kann plausibel erklären, dass sie im Rahmen des Auftrags handelt, der in den EU-Verträgen niedergelegt ist. Diesen hat der Bundestag zugestimmt. Außerdem wird die Notenbank nur Anleihen von Ländern erwerben, die sich einem Sanierungsprogramm des Europäischen Stabilisierungsfonds unterworfen haben. Und auch die ESM-Hilfen muss der Bundestag jedes Mal absegnen.
Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über mehrere Klagen gegen den Europäischen Fiskalpakt und den ESM. Die Kläger meinen, künftig könne der Bundestag sein verfassungsgemäßes Budgetrecht nur noch eingeschränkt ausüben.
Der Fiskalpakt könnte juristisch zwar auch ohne Deutschland in Kraft treten. Und die Bundesregierung hätte die Möglichkeit, die jährliche Neuverschuldung trotzdem auf 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu verringern – entsprechend dem Vertrag, aber freiwillig. Jedoch würde vom Fiskalvertrag ohne den entscheidenden Akteur kein kraftvolles politisches Signal gegen die Krise ausgehen.
Das Vertrauen der Investoren in die Eurozone nähme weiter ab, die Zinsen für Spanien und Italien stiegen, und Europa bräuchte noch mehr Rettungskapital. Dieses aber würde fehlen, wenn das Verfassungsgericht auch den ESM scheitern ließe.
Ohne die Mitwirkung Deutschlands kann der ESM das notwendige Kapital nicht einsammeln. Er wäre nicht arbeitsfähig. Schon eine zeitliche Verzögerung durch weitere Prüfungen des Verfassungsgerichts würde zu massiven Problemen führen. Die Eurozone hat dann ziemlich bald zu wenig Geld, um weitere Hilfen zu leisten. Die Krise könnte sich enorm verschärfen. Professionelle Investoren würden ihre europäischen Staatsanleihen abstoßen und die Privatleute ihre Konten bei den Banken räumen. Es käme zu Panikreaktionen.
44, Professor für Europa- und Verfassungsrecht an der Uni Bielefeld und hat den Bundestag bei EU-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten.
Solche Bilder können sich auch die Verfassungsrichter ausmalen.
Die Richter in Karlsruhe leben nicht auf einem anderen Planeten. Sie wissen sehr genau, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben können.
Das Verfassungsgericht legt großen Wert darauf, dass der Bundestag sein Budgetrecht ausüben kann. Wird dieses durch den europäischen Fiskalvertrag nicht eingeschränkt?
Ich vermute, die Richter werden diese Ansicht der Kläger zurückweisen. Denn der Bundestag hat sein Budgetrecht ja schon längst selbst eingeschränkt, indem er die Schuldenbremse im Grundgesetz verankerte. Diese funktioniert ganz ähnlich wie der Fiskalpakt. Das Entscheidende ist, dass der angebliche Haushaltssouverän dies ohne den Bundesrat, das Organ der Länderexekutiven, nicht mehr ändern kann. Das Königsrecht des Bundestages ist an diesem Punkt also schon weg.
Und wie sieht es mit dem ESM aus?
Auch dabei wird das Verfassungsgericht wohl keinen Konflikt zum Haushaltsrecht des Bundestages erkennen. Über einen ähnlichen Rettungsschirm (EFSF) haben die Richter ja 2011 geurteilt, dass er mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Davon unterscheidet sich der ESM nicht grundsätzlich.
Könnte der Bundestag denn verhindern, dass der ESM beispielsweise Spanien Kredite gibt?
Natürlich. Bevor Finanzminister Schäuble im ESM-Gouverneursrat der finanziellen Unterstützung für ein Land zustimmt, muss er den Bundestag informieren und fragen. Wenn das Parlament Nein sagt, gibt es kein Geld. Die Haushaltsautonomie und die Rechte der Bundesbürger sind damit gewahrt. Ob eine solche Weigerung politisch und ökonomisch durchzuhalten wäre, ist aber eine andere Frage.
Die Kläger argumentieren, Deutschland würde mit dem ESM eine unbeschränkte Haftung für andere Länder übernehmen.
Das ist eine Phantomdiskussion. Deutschland muss für seinen Anteil von 27 Prozent, maximal 190 Milliarden Euro, haften. „Unter allen Umständen“ ist die Haftung begrenzt, so sagt es der Vertrag. Diese Summe steigt erst, wenn man den Vertrag ändert. Das aber geht nur mit Zustimmung der Bundesregierung und des Bundestages.
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