: Jung, schwul, verführbar
■ Thomas Plaichingers Roman einer Odyssee „Festland“
Seit Dezennien geht Thomas Plaichinger mit seinem Romanprojekt Festland schwanger, nun ist es endlich im Berliner magnus-Verlag erschienen – und könnte in kurzer Zeit zu einer antiquarischen Rarität avancieren. Noch hoffen die Verleger auf einen vermeidbaren Konkurs und einen zahlungskräftigen Investor, Branchenkenner indes geben dem Schwulenmedium nur wenig Chancen. Für Festland könnte sich dann die Odyssee fortsetzen, die der Protagonist des Werkes schon beendet zu haben scheint.
Georg ist jung, schwul und verführbar. Sein einziges Ziel ist es, dem kleinbürgerlichen Mief seines Elternhauses zu entkommen. Als sein Vater mit seiner neuen Frau in die Flitterwochen fährt, brennt Georg mit der Haushaltskasse durch.
Wohin? In die Stadt der Liebe – nach Paris. Bald macht Georg eine Herrenbekanntschaft, doch bleibt er merkwürdig unentschlossen immer nur Objekt der Begierde. Auch seine Rückkehr nach Hamburg ist letztlich keine bewußte Entscheidung, er läßt sich einfach treiben inmitten der äußeren Zwänge. Für den nächsten starken Mann schmeißt er seinen Job hin. Als er dem Matrosen durch den halben Mittelmeerraum folgt, findet er schließlich, nach einigen filmreifen erotischen Episoden, zu einem möglichen Lebensentwurf.
Thomas Plaichinger erzählt die Geschichte unprätentiös. Genau beobachtete Alltäglichkeiten und skurrile Szenen im zwischenmenschlichen Bereich fügen sich zu einer „modernen éducation sentimentale“. Der Text lag mehrere Jahre in der Schublade. Aber: „Ich habe den Roman komplett neu überarbeitet“, erzählt der Autor. Das stimmt nicht ganz, die erotischen Phantasien und die tolldreisten Liaisons im maritimen Dekor sind allesamt im Zeitalter vor Aids entstanden und mithin „unsafe“. Eine Nachahmung möchte Thomas Plaichinger nicht empfehlen, für das historisch-kritische Verfahren mit dem Urtext entschied er sich rein aus ästhetischen Gründen.
Die Vorbilder für Plaichingers Coming-out-Literatur stammen von James Baldwin und vor allem von Jean Genet. In seinem frühen Werk Festland vermischt sich die Verbrechererotik von Genets Roman Querelle mit einer adoleszenten Sehnsucht nach Liebe.
Eckhard Bühler
Am 14. Juni um 20 Uhr liest Thomas Plaichinger im Literaturhaus.
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