Jubiläum: Außenposten im Watt
Hamburgs ältestes Bauwerk, der Turm auf der Insel Neuwerk, wird 700 Jahre alt. Zu seiner Geschichte gehören Fehden und Rettungstaten. Noch heute dient er als Seezeichen.
Einmal hätte es ihn fast erwischt: Zur Zeit der französischen Besetzung Norddeutschlands unter Napoleon I. sollte der Wehr- und Leuchtturm auf der Insel Neuwerk vor Cuxhaven gesprengt werden. Die Löcher für die Ladungen waren schon ins Ziegelmauerwerk gemeißelt - da gelang es dem französischen Bürgermeister der Nachbargemeinde Ritzebüttel, die Sprengung des Turmes zu verhindern.
500 Jahre lang hatte der Turm damals auf der kleinen Elbinsel gestanden. Inzwischen sind es 700 und der Turm ist zum ältesten Bauwerk der "Freien und Abrissstadt Hamburg", wie ein gängiges Bonmot lautet, avanciert. An diesem Wochenende wird deshalb gefeiert. Als Hauptredner beim Festakt am Sonnabend tritt der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) auf. Ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums wird eine Sonderbriefmarke zum Jubiläum vorstellen.
Viel Ehre für ein Fleckchen Land mitten im Watt, dessen eingedeichte Fläche kleiner als Helgoland ist. Dazu kommt ein doppelt so großes Vorland mit Weiden und Salzwiesen auf denen seltene Pflanzen wachsen und Vögel wie der schwarzweißrote Austernfischer brüten, das Wappentier des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer.
Die Insel ist noch bewohnt. Knapp 40 Einheimische, deren Angestellte und pro Jahr rund 120.000 Touristen bevölkern die Insel. Dazu kommen Pferde und Rinder. Die Nationalparkverwaltung ist stolz darauf, dass sie es in 18 Jahren geschafft hat, die Inselbewohner mit dem Nationalparkgedanken zu versöhnen.
Wer nach Neuwerk fährt - per Schiff oder im Wattwagen - sieht als erstes den wuchtigen Turm. 30 Meter hoch sind allein die mehr als zwei Meter dicken Ziegelmauern. Darüber erhebt sich ein Zeltdach mit einem Leuchtfeuer. Wie wir der Monographie "Ein Turm und seine Insel" von Dannmeyer, Lehe und Rüther entnehmen, standen dem Turm französische "Donjons" Pate - als kompakte Burgen konzipierte Festungstürme, die zur Zeit seiner Erbauung allerdings schon wieder aus der Mode waren.
Es waren mehrere Motive, die das Alsterstädtchen Hamburg mit seinen 5.000 bis 7.000 Einwohnern zu der Anstrengung veranlassten, in den Jahren 1300 bis 1310, den Turm zu errichten: Als Seezeichen sollte er den Weg durch das gefährliche Watt in die Elbmündung weisen. Die Turm-Besatzung sollte die Ladung gestrandeter Schiffe bergen. Das Gewölbe, in dem sich heute eine Gaststube befindet, diente der Aufbewahrung des Strandgutes. Dass der Turm als Festung konzipiert wurde, hat damit zu tun, dass auf dem Festland, im Amt Ritzebüttel, ein ähnlicher Turm der Edelherren Lappe stand.
Um ihre Interessen zu wahren und ihren Turm zu schützen, schlossen die Hamburger 1316 ein Bündnis mit den Friesen des Landes Wursten. Im Turm verabredeten sie sich mit den Wurstern zu einer Fehde gegen die Herren Lappe, die ihnen 1393 die Herrschaft über Ritzebüttel im heutigen Kreis Cuxhaven einbrachte.
Zwar musste die Insel Neuwerk unter mancher Fehde leiden, der Turm wurde jedoch bis in Napoleons Zeit nicht erobert. Eine Erstürmung durch den kaiserlichen Feldherrn Tilly im Dreißigjährigen Krieg scheiterte am dichten Nebel über dem Watt.
Im Falle von Sturmfluten bot der Turm auf seiner Warft die letzte Rettung. Zwar begann Hamburg 1565, die Insel einzudeichen, jedoch muss immer wieder die See in den Deichring eingebrochen sein. Dokumentiert ist das für den Weihnachtsabend 1717, als die Nordsee die Deiche überspülte und brechen ließ. Tagelang stand das Seewasser auf der Insel. Die meisten Bewohner retteten sich auf den Turm. Zwölf Menschen ertranken.
Den Kampf mit der See fochten die Neuwerker auch an anderer Stelle aus: Mehrfach verzeichnet die Inselgeschichte großartige Rettungstaten, bei denen die Insulaner wie viele der damaligen Küstenbewohner in Ruderbooten ausrückten, um Schiffbrüchige zu bergen.
Tragisch ist dagegen die Geschichte des Turmvogts Peter Christian Follmer, der gerettete Schiffbrüchige in seinem Wagen zum Festland bringen wollte und dabei die Flut falsch einschätzte. Seine Frau musste hilflos vom Turm aus zusehen, wie er ertrank.
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