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taz panter stiftung

Journalistinnen aus Syrien Das Gefühl von Freiheit

Sie sind Journalistinnen, Aktivistinnen, Friedensbotschafterinnen aus allen Teilen Syriens. In Beirut wurden sie von der taz Panter Stiftung weitergebildet, um die Pressefreiheit im Land zu stärken.

„Wir waren 12 Jahre lang im Gefängnis, jetzt gehen wir zum Strand“ Sawsan, Journalistin Foto: Julia Völcker

taz Panter Stiftung | Am dritten Tag singen sie gemeinsam. Eine der Journalistinnen, sie kommt aus Damaskus, hat die ersten Zeilen des alten syrischen Volksliedes angestimmt. Die anderen Frauen setzen ein. Manche zaghaft, andere kraftvoll. Der Gesang – so scheint es – baut ihnen eine Brücke.

Haben die hier versammelten Syrerinnen gerade klare Kante gegen das vor sechs Monaten gefallene Assad-Regime gezeigt? Immerhin, so haben wir in den vergangenen drei Workshop-Tagen gelernt, haben der Diktator und seine Schergen ganze Arbeit geleistet, um Misstrauen in der ethnisch und religiös diversen syrischen Bevölkerung zu säen und die Spaltung der Gesellschaft zu zementieren.

„Syrer kennen einander nicht“, ist ein Satz, der mehrmals fällt. Und so wundert es nicht, dass viele Stereotype über die gut 23 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen des Landes, darunter Alawiten, Sunniten, Schiiten, Christen, Kurden, Drusen und andere Gruppen kursieren. Da heißt es etwa: Kurden seien Sturköpfe, die Einwohner Aleppos hinterwäldlerisch und die aus Idlib sowieso fast alle islamistisch.

Eigentlich alberne Vorurteile, doch wird schnell klar, wie verletzend sie in der syrischen Gesellschaft wirken müssen. Zu oft haben sie über Leben und Tod entschieden. Auch die Frage, wie sich diese Differenzen bei unserem Auftakttreffen für das Journalistinnentraining in Beirut – quasi unterm Brennglas – überwinden lassen, wird sich wie ein roter Faden durch die nächsten Tage ziehen.

Schwierige Anreise aus Syrien

„Her turn – Supporting Syrian Female Journalist“ ist der Name des sechsmonatigen Projekts der taz Panter Stiftung, gefördert anteilig vom Auswärtigen Amt, das eine Gruppe von elf Journalistinnen qualifizieren möchte, um so unabhängigen Journalismus und schließlich die Presse- und Meinungsfreiheit im Land zu stärken. Anfang Mai brechen wir, eine kleine Gruppe deutsch-syrischer Journalistinnen der taz Panter Stiftung, zum ersten Treffen in den Libanon auf, um die Grundlagen für den Workshop zu legen, in dessen Verlauf Geschichten und ein Podcast entstehen sollen.

Unsere Anreise aus Berlin in den Nahen Osten dauert etwa vier Flugstunden. Einige unserer Teilnehmerinnen werden dagegen mehrere Tage aus dem Nachbarland brauchen. Dabei beträgt die Entfernung von Damaskus nach Beirut nur rund 115 Kilometer. Eine Teilnehmerin aus Suweida, einer Stadt südlich von Damaskus, wird ihre Reise wegen Schießereien zwischen syrischen Sicherheitskräften und Mitgliedern regierungsnaher Milizen mit Angehörigen der drusischen Minderheit auf ihrem Weg aus Sicherheitsgründen wieder abbrechen müssen.

Die Workshop-Teilnehmerinnen kommen aus allen Himmelsrichtungen Syriens. Sie sind Mütter, Aktivistinnen, Friedensbotschafterinnen und Journalistinnen zwischen 30 und 50 Jahre alt, die seit Jahren überwiegend für unabhängige syrische Plattformen arbeiten, die als Exilmedien in Europa angesiedelt sind. Einige der Frauen haben Syrien oder gar ihre Provinz noch nie verlassen. Im taz Panter Workshop wollen sie sich weiterbilden, sich mit den Kolleginnen aus anderen Regionen des Landes vernetzen und vor allem ihre Geschichten erzählen.

Da ist etwa Sawsan aus Idlib, 38 Jahre alt und Mutter von vier Kindern, die während des Bürgerkriegs Zuflucht in einem Flüchtlingscamp fand, in dem die Familie noch heute lebt. Im Laufe des Workshops wird sie erzählen, dass sie keinen Schreibtisch zum Arbeiten hat. Dass sie und ihr Mann jedes verdiente syrische Pfund in die Schulbildung der Kinder stecken, damit diese nicht die improvisierte Schule im Flüchtlingscamp besuchen müssen.

Beginn mit Verspätung

Und da ist Ronak, 40, eine Kriegsreporterin, die mit ihren zwei kleinen Kindern und Ehemann in Qamishli, jener kurdischen Region im Nordosten Syriens, lebt. Ihr Sohn, der seit seinem zweiten Lebensjahr mit einer Beeinträchtigung lebt, darf deshalb nicht in die Schule gehen. Seine Mutter kämpft mit den Schmähungen der Nachbarn, die mit dem Finger auf das Kind zeigen. Ronaks Bruder, ein politischer Karikaturist, hat es ins Exil ins nordrhein-westfälische Minden geschafft. Dort arbeitet er, der so gerne wieder professionell zeichnen würde, heute als Friseur.

Ronak ist dann auch eine von drei Workshop-Teilnehmerinnen, die an der Grenze zum Libanon abgewiesen werden, obwohl die Zentrale Sicherheitsbehörde die Einreise für alle Teilnehmerinnen im Vorfeld genehmigt hatte. Handfeste Erklärungen für das Handeln der libanesischen Grenzbeamten erhalten wir nicht. Allein von „Behördenwillkür“ oder „Nervosität der Libanesen“ ist die Rede. Der Erfolg des Workshops scheint zeitweilig gefährdet.

Auch für die syrischen Journalistinnen ist dies ein übler Rückschlag. Gerade haben sie die blutige Diktatur Baschar al-Assads überstanden, jetzt scheitern einige von ihnen an der Laune libanesischer Grenzbeamter. Aber: Mit der Unterstützung unserer Reiseagentur und mit einem Tag Verspätung schaffen wir es schließlich, die drei Frauen in Beirut zu begrüßen.

Zwischen Aussöhnung und Aufklärung

Der erste Workshoptag beginnt in kleinerer Runde. Auf dem Programm stehen journalistische Formate wie Interview und Reportage, in denen die Frauen sich weiterbilden können. Auch die Frage, mit welchen wirtschaftlichen, politischen oder zivilgesellschaftlichen Themen im heutigen Syrien sie sich in den kommenden Monaten beschäftigen möchten. Die Direktorin von Women Now For Development, der größten Frauenrechtsorganisation Syriens, hält einen Vortrag über die Chancen und Herausforderungen zur Aufklärung der Verbrechen und Aussöhnung der syrischen Gesellschaft in der Post-Assad-Ära.

Es ist ein produktiver erster Austausch und doch ist die Stimmung mitunter gedrückt. Denn immer wieder brechen bei einzelnen Teilnehmerinnen alte Wunden auf. So mündet etwa der anfängliche Austausch über journalistisches Handwerkszeug in beklemmenden Schilderungen von Schießereien und Kriegsgefangenschaft, von blanker Angst um das eigene Leben.

Die kommenden zwei Workshoptage widmen sich den Recherchevorhaben der Journalistinnen, auch das Konzept für einen gemeinsamen Podcast entsteht. Darüber hinaus geht es um Themen wie journalistische Frauennetzwerke und ihre Bemühungen um Chancengleichheit in den syrischen Medien.

Die Journalistinnen berichten von fehlenden presserechtlichen Standards in der syrischen Medienlandschaft, von alten Eliten im syrischen Informationsministerium. Von Hate Speech und Propaganda in den sozialen Medien und einem gewaltigen Vertrauensverlust, den die syrische Presse in der Bevölkerung hinnehmen musste. Ein großes Problem, so erfahren wir, sei auch das Fehlen von weiblichen Führungskräften in Medienunternehmen, so sei der Umgang mit weiblichen Journalistinnen in den meist männlich besetzten Behörden kaum eingeübt.

Auszeit vom harten Alltag

Später, an einem der Abende, spazieren wir gemeinsam zum Strand. Vor uns liegt das weite Mittelmeer mit dem Raouche-Felsen, dem imposanten Wahrzeichen Beiruts. Darüber ein Sternenhimmel, der fast zu kitschig ist, um wahr zu sein. Die Journalistinnen haben sich untergehakt, lachen, plaudern angeregt miteinander. In diesem Moment, so denkt man, sind sie alle einfach nur Syrerinnen. Vereint als Mütter, Frauen, Journalistinnen, für die die Reise auch eine kleine Auszeit vom harten Alltag mit Familienleben, Broterwerb und dem zähen Ringen um eine lebenswerte Zukunft in der kriegsgebeutelten Heimat ist.

In Beirut sieht Sawsan das Meer seit vielen Jahren. „Wir waren 12 Jahre lang im Gefängnis, jetzt gehen wir zum Strand“, sagt sie. Sie hofft, dass sie es eines Tages ihren Kindern zeigen kann.

Julia Völcker ist Co-Leiterin des Syrien-Projekts der taz Panter Stiftung