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Archiv-Artikel

Josef-Otto Freudenreich Die Brezel bröselt

Alle Wetter, CDU. Ein Kandidat mit derart desaströsen Werten – das muss man erst mal hinkriegen. Mit dem ganzen konservativen Block hinter sich. Aber zum Trost, CDU: es lag auch an Turner. Der mag alles verkaufen können, nur nicht sich selbst.

So weit ist es gekommen. Im „Stallbesen“ von Stuttgart-Mühlhausen hocken nicht die Schwarzen, sondern die Grünen. Früher hat der Wirt tapfer für die CDU getrommelt, heute lädt er Fritz Kuhn zum schwäbischen Landwein und Schweinebauch (warm oder kalt). Und der Kuhn kommt sogar pünktlich, was Sebastian Turner nicht immer gelingt. Bei ihm ist eine Stunde Verspätung durchaus drin, und dann sagen sie wieder: Schau an, der Millionär hat's nicht nötig.

Eine kleine Episode, gewiss, aber keine unwichtige. Der Schwabe kann ehrenkäsig sein und empfindlich. Da hilft es nicht, wenn die Welt Turner als einen der „kreativsten Köpfe“ des Landes lobt, die Bild-Zeitung als „seriös, klug, ideenreich“ und „Spiegel online“ als „eine Art Super-Schaffer“. Entscheidend ist vor Ort.

Dort ist Sebastian Turner, dem nicht mal seine Gegner die Klugheit absprechen, nie angekommen. Die Kindergärtnerin Gisela, das Kicken bei den Stuttgarter Kickers, die allgegenwärtige Brezel – das sollte Nähe suggerieren und blieb doch nur ein Gag. Auf der anderen Seite war kein Superlativ vor der Verkündigung sicher. Die Hauptstadt der Bildung, der Nachbarschaft und der Innovation und das penetrante Ich, Ich, Ich. Drunter ging es einfach nicht.

Das macht die Schwäbin und den Schwaben misstrauisch, und sie fragen sich: Was will der wirklich? Geld ist es nicht. Davon hat er genug. Von Stuttgart raus in die Welt und wieder zurück? Das hätte er einfacher haben können. Eine politische Karriere mit der CDU und Angela Merkel im Kreuz? Da gibt es Vergnüglicheres. Es sei denn, diese Option ist der Kick in einem Leben, das schon alles Erreichbare zur Verfügung gestellt zu haben scheint. Aber Langeweile ist kein guter Ratgeber.

Für Turner mag das eine Etappe sein, eine erste schmerzhafte Erfahrung auf dem steilen Weg nach oben. Für die CDU und ihre Hilfstruppen ist es – nach den vorliegenden Umfragen – ein Desaster. Ein „echter Schock“, wie führende Konservative gestehen. Von 50 Prozent und mehr hatten sie geträumt. Gleich im ersten Wahlgang. Gestartet waren sie in der Annahme, der Berliner Quereinsteiger könnte eine breite Mitte besetzen. Heute muss die CDU erkennen, dass Turner offensichtlich nicht einmal die eigene Klientel überzeugen kann. Der Kunstgriff mit der Parteilosigkeit, der das Spektrum erweitern sollte, hat nach bisherigen Erkenntnissen nicht nur nicht funktioniert, sondern den eigenen Laden verstört. Wer sich nebenbei den Piraten andient, verletzt die schwarze Seele, verhindert die Identifikation mit dem Kandidaten und nimmt die Bereitschaft, mit ihm in den Kampf zu ziehen.

Die Partei tut nun, was Parteien in solchen Fällen immer tun. Sie ruft nach Geschlossenheit. Das hat bei der Stuttgarter CDU großen Charme. Sie wetzt schon jetzt die Messer gegen Turners Mentor, den Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann, und fordert den Schulterschluss ein. Das verspricht ein bühnenreifes Stück zu werden. Mappus lässt grüßen. „Wenn's schiefgeht“, heißt es in der Parteispitze, „gibt es offenen Streit.“ Am Sonntag geht der Vorhang auf.