: Jordaniens König steuert die Wahlen
Neues Wahlgesetz schwächt Parteien und stärkt die Stämme / Auch im Mehrparteiensystem behält der Palast die Kontrolle / Direktwahl soll palästinensischen Einfluß schwächen ■ Aus Amman Lamis Andoni
In Jordanien finden heute die ersten Mehrparteienwahlen seit 37 Jahren statt. Bereits im Vorfeld zeichnete sich jedoch ab, daß Vertreter der mächtigen traditionellen Stämme über die erst im letzten Jahr zugelassenen neuen politischen Parteien den Sieg davontragen werden. Die Clans werden durch ein Dekret von König Hussein gestärkt, dem zufolge die Wähler nur noch für einen Abgeordneten und nicht mehr für eine Kandidatenliste in jedem Distrikt stimmen dürfen. 1,5 Millionen WählerInnen sind nun aufgerufen, aus 550 Kandidaten 80 Parlamentarier zu bestimmen.
Der König, der jede Opposition gegen den Friedensprozeß mit Israel mißtrauisch beobachtet, versucht, sowohl der einflußreichen, rechtsgerichteten Islamischen Aktionsfront (IAF) wie auch linksorientierten Gruppen und Anhängern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Stimmen zu entziehen. Vor vier Jahren, als in Jordanien die ersten Wahlen seit mehr als zwei Jahrzehnten stattgefunden hatten, war es den Islamisten gelungen, beherrschenden Einfluß im Parlament zu gewinnen. Sie erzielten ihre Erfolge durch landesweite Bündnisse von Mitgliedern der Muslimbruderschaft mit unabhängigen Islamisten. 22 Sitze besetzten die Muslimbruderschaft und ihre Verbündeten im letzten Parlament, das von König Hussein im September aufgelöst worden war. Die Entscheidung des Königs, die Abgeordneten nach Hause zu schicken und ein neues Wahlsystem einzuführen, zeigt, daß dem 1989 eingeleiteten Demokratisierungsprozeß Grenzen gesteckt sind. Die Verfassung räumt dem König das Recht zur Parlamentsauflösung und zur Ernennung des Kabinetts ein, gewährleistet also auch weiterhin die dominierende Stellung der haschemitischen Dynastie.
1991 hatte König Hussein ein aufsehenerregendes Abkommen mit seinen traditionellen rechtsgerichteten und linksgerichteten Widersachern geschlossen. Diese unterzeichneten eine Nationalcharta, in der sie die Monarchie im Gegenzug für den Aufbau eines pluralistischen Systems grundsätzlich akzeptierten. Die Charta legte fest, daß sich jede Partei unabhängig von ihrer Ideologie dem pluralistischen System zu verpflichten hat – ein Sicherheitsnetz, mit dem die einflußreichen Islamisten daran gehindert werden sollten, den Demokratisierungsprozeß im Falle einer Eroberung des Parlaments rückgängig zu machen.
Auf einer Kundgebung im Osten Ammans, wo dicht bevölkerte palästinensische Flüchtlingslager und jordanische Arbeitersiedlungen liegen, hat nun kürzlich einer der radikalsten und unverblümtesten islamischen Führer die Demokratie als ein „Instrument des Westens“ attackiert. Die hitzige Äußerung von Sheik Abdul Munim Abu Zant spiegelt die Erbitterung der Islamisten über das neue Wahlsystem wider, das die Opposition gegen die Separatabkommen Jordaniens und der PLO mit Israel gegenüber den Stämmen praktisch entmachtet hat.
Trotz der Grenzen des vom König gesteuerten Demokratisierungsprozesses ist Jordanien in den letzten vier Jahren Schauplatz tiefgreifender Veränderungen gewesen. So wurde das Kriegsrecht, in Kraft seit 1967, aufgehoben. Die weitgehenden Befugnisse des Sicherheitsapparats wurden dramatisch beschnitten, was Tausenden von Mitgliedern der Opposition die Rückkehr aus dem Exil ermöglichte und zu einer Liberalisierung der Presse führte. Zahlreiche Aktivisten, vor allem Linke und PLO- Mitglieder, haben bis zu zehn Jahren in jordanischen Gefängnissen gesessen. Aber in der neuen Ära treten nun viele der ehemaligen politischen Gefangenen als Kandidaten bei den Wahlen an.
Mit dem neuen Wahlsystem hat König Hussein jedoch die Nation gespalten, indem er Bindungen an Stamm, Clan und Heimatregion verstärkte. Vertreter der großen Stämme nutzten den Vorteil, den ihnen das neue Wahlsystem bot, und warfen ihr Gewicht in die Waagschale, während politische Bündnisse, die auf Programmen basierten, untergraben wurden.
Das neue System zielt auch darauf ab, die Bedeutung der palästinensischen Stimmen zu mindern. Jordanier palästinensischer Abstammung machen mindestens die Hälfte der Bevölkerung aus. Das Königshaus glaubt, daß die Loyalität der Palästinenser zwischen der PLO und der palästinensischen Opposition geteilt ist. König Hussein versucht zu verhindern, daß der Streit über den Vertrag zwischen Israel und der PLO beherrschenden Einfluß auf die jordanische Innenpolitik gewinnt. Im Wahlkampf allerdings hat dieses Thema bereits eine bedeutende Rolle gespielt.
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