■ John Major nutzt die Chancen für Irland nicht: „One-way tickets“ für den Frieden Oder: Jetzt ist wirklich Politik gefragt
Es ist schon ein Kreuz mit den Terroristen: Da hat man sich endlich an sie gewöhnt – schließlich war der nordirische Konflikt durchaus „manageable“ – und seine Politik auf Placebo-Statements eingeschränkt, da verkünden die Gauner von der IRA einen Waffenstillstand und bringen dadurch alles aus dem Gleichgewicht. Plötzlich reicht es nicht mehr aus, Soldaten nach Nordirland zu entsenden und sie manchmal vom Londoner Flughafen mit Trauermiene und Bodybag wieder abzuholen, sondern jetzt ist Politik gefragt. Dazu ist der britische Premierminister John Major allerdings nicht fähig. Er versucht, seine Ratlosigkeit zu verdecken, indem er seit zwei Wochen wie ein Kind darauf beharrt, daß die IRA die Worte „für immer“ nachliefern müsse, sonst ... Dabei liegt es eben an Major und Konsorten, ob die Waffen für alle Ewigkeit ruhen, das haben selbst US-Präsident Bill Clinton, der irische Premierminister Albert Reynolds und das Europaparlament erkannt – zumal sich nun auch die IRA-Gefangenen auf eine „Strategie ohne Waffen“ verpflichtet haben.
Doch Major will nichts unternehmen, was die nordirischen Unionisten verärgern könnte. Denen kommt der IRA-Waffenstillstand höchst ungelegen, basiert ihre Macht über die unionistische Bevölkerung quer durch alle Schichten doch vor allem auf der Lagermentalität und der Angst vor der anderen Seite. Wie sehr ihr Konzept durcheinandergeraten ist, zeigte sich nach dem Ausbruchversuch von fünf IRA-Gefangenen aus einem englischen Gefängnis: Erleichtert tönten die Unionisten landauf, landab, daß dies das Ende des IRA-Waffenstillstands bedeute. Wenn schon „seriöse“ Politiker den Waffenstillstand so zu sabotieren versuchen, muß man sich dann wundern, wenn die loyalistischen Kommandos ihnen mit Anschlägen in Belfast und Dublin zu Hilfe eilen?
Wer bei dem Friedensprozeß auf die Unionisten und Loyalisten wartet, begeht Verrat an der nordirischen Bevölkerung. Nicht nur die Katholiken, sondern auch weite Teile der protestantischen Bevölkerung setzen große Hoffnungen in den IRA-Waffenstillstand. Eine interne Lösung gibt es aufgrund der Machtinteressen nicht. Natürlich ist die Zustimmung der Unionisten und Loyalisten erstrebenswert – aber sie ist keine Voraussetzung für Frieden in Nordirland. Die Loyalisten – und die unionistischen Schreibtischtäter – reagieren nur so lange mit Mord und Bomben, wie sie von Major gedeckt werden. Der ist jedoch zu schwach für einen Kollisionskurs. Morgen bricht Major in den Nahen Osten und nach Südafrika auf, die Unionistenchefs James Molyneaux und Ian Paisley wollen nach Australien beziehungsweise in die USA. Im Falle Majors dürften ihm seine Gesprächspartner vielleicht einige sachdienliche Hinweise über das Ausnutzen historischer Chancen bieten. Bei der zweiten Reise jedoch wäre es dem Frieden in Nordirland äußerst dienlich, wenn man ihnen „One-way tickets“ geben würde. Ralf Sotscheck, Dublin
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