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Jörn Kabisch AngezapftWagnerhafter Bombast im Mund

Foto: privat

Wegen dieses Bieres hätte ich beinahe meinen Job als Autor dieser Kolumne aufgegeben. Denn es ist nicht einfach nur ein gutes Stout. Mit der Erinnerung an den Geschmack auf der Zunge kam mir tagelang alles andere, was ich aufmachte, wässrig und medioker vor, und darunter waren hochwertige Biere, die ich an dieser Stelle schon in höchsten Tönen gelobt habe. Am Ende half nur Verzicht, ein nicht ganz vollständiger Dry January, um wieder meinen Geschmack zu finden.

„Double Stout“ nennt sich dieses Bier aus dem Hause Shepherd Neame. Das ist die älteste Privatbrauerei Großbritanniens, sie sitzt in Kent, ungefähr an der Themsemündung. Man kann sie mit der Schneider-Brauerei im oberpfälzischen Kehlheim vergleichen, ebenfalls eine Familienbrauerei, die sich mit ihrem Weißbier weltweit einen Ruf unter Biertrinkern erarbeitet hat („Schneider Weisse“). Shepherd Neame steht entsprechend für englische Ales.

Das bekannteste ist wahrscheinlich „Bishop’s Finger“, das schon seit 1958 gebraut wird und auch in Frankreich sehr beliebt ist. Und daneben das „Spitfire“, das 1990 in Erinnerung an die Luftschlacht um England aufgelegt wurde. Diese Briten. Es heißt, aktuell erfreue sich Spitfire auf der Insel wieder großer Beliebtheit.

Das Double Stout ist einer der nicht ganz so bekannten Klassiker. Es soll auf einem Rezept aus dem 19. Jahrhundert fußen. Wobei „Double“ einfach nur für stark steht, ähnlich wie bei den belgischen Dubbel-Bieren. Im Alkoholgehalt macht sich das weniger bemerkbar, dafür aber im Geschmack.

Wie immer bei Schwarzbier steht der Malzcharakter im Vordergrund, Shepherd Neame verwendet sechs verschiedene Malze. Im Zusammenspiel entwickelt sich ein geradezu symphonisches Werk: Schokolade, Kaffee, Karamell, etwas Tabak, milde Salzigkeit, leichtes Lakritz – all das flutet wild durcheinander und anschließend etwas geordneter über die Zunge.

Double Stout, Shepherd Neame Brewery, 5,2 % vol.

Diese Geschmacksnoten findet man auch bei vielen anderen Stouts, hier will aber keine davon so richtig dominieren. Gemeinsam entwickeln sie stattdessen – um im musikalischen Bild zu bleiben – einen wagnerhaften Bombast. Deswegen kamen mir alle anderen Biere anschließend so schal vor.

Dieses Stout ist nicht vollmundig, sondern mundfüllend! Und hat man es hinuntergeschluckt, schmatzt man noch nach, weil die Aromen immer weiterklingen – vor allem im Zusammenspiel mit der gebratenen Makrele, die ich dazu aß. Dass der Fisch nicht unter dem Bier verschwand, sondern ganz im Gegenteil gut harmonierte, hat mich erstaunt. Ich bin sicher, auch mit Aal oder Karpfen wird das Double Stout gute Verbindungen eingehen.

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