■ Jetzt anmelden: Die schrägste Butterfahrt aller Zeiten: „Was riecht denn hier so komisch?“
Berlin (taz) – Als bestenfalls mittelmäßige Rockgruppe muß man heutzutage einfallsreich sein, um sich interessant zu machen. Bazooka Cain aus Hamburg, die schon seit mehr als einem Jahr das taz-Prädikat Ministers for Eigenwerbung stolz vor sich hertragen, haben damit kaum Probleme. „Wir sind international operierende Musik- und Freizeitspezialisten mit eigenen Schreibtischen, eigenen Instrumenten und zwei Büros weltweit“, beschreibt Marcel Vega (25), Gitarrist und Sänger der Band, seine Arbeit. „Ich behaupte mal, Bazooka Cain ist die erste Band, die als Dienstleistungsunternehmen funktioniert: Wir haben Musiker und ein Reisebüro in einem“, ergänzt Markus Lezaun (auch 25), Freund, selbsternannter Trainer der Truppe und Organisationstalent. Vor zwei Jahren machten sie ihre erste Tournee nach Prag, eine als Kaffeefahrt getarnte Konzert-Veranstaltung, bei der sie ihre erste (und bislang auch einzige) Single zum Verkauf anpriesen. Die Besatzung der Reise bestand damals quasi nur aus ihren Fans, Freunden und Bekannten. Kostenpunkt für Fahrt und Unterkunft: schlappe 100 Mark.
Damit nicht genug. „Wir können's noch weiter, anstrengender und vor allem immer noch billig“ – sagten sich die beiden Freizeitspezis und veranstalteten im letzten Jahr eine Vier-Tage-Butterfahrt nach Moskau, von der behauptet wird, sie hätte eher den Charakter eines Ausdauer-Survivaltrainings für angehende Fernreiseleiter gehabt als den einer Vergnügungsfahrt. Die Reise war, wie man es von einer Butterfahrt erwartet – nämlich strapaziös. Diesmal schlossen sich sogar über 190 Leute an. Und zwar nicht nur Fans, sondern x-beliebige Leute, die vor allem zu einem Spottpreis nach Moskau kommen wollten. Mit von der Partie war auch die unbekannte Düsseldorfer Frauencombo „B-Bäng-Cider“. Der Preis für Fahrt, musikalische Unterhaltung und Unterkunft: unschlagbare 450 Mark. Von Stiftung Warentest getestete Gastfamilien nahmen die 194 auf – in einer Trabantenstadt rund 60 Kilometer außerhalb von Moskau. Die Beteiligung an Programm und Konzerten war natürlich freiwillig, erwünscht war lediglich die Teinahme am Massen- Tipp-Kick-Turnier auf dem Roten Platz. Abgesehen davon, daß sich die Rückkehr um eineinhalb Tage verzögerte, verlief alles nach Plan. Wie kommen zwei junge Schnösel nur mit so vielen Fernreisenden zurecht, in einem Land, dessen Sprache sie nicht einmal verstehen? „Das Informationsdefizit hat uns alle zusammengeschweißt“, erklärt Marcel Vega, „da macht man natürlich Grenzerfahrungen, und das finden wir gut.“ Auch Schreiberkollege Martin Sonneborn war im letzten Jahr dabei und hat nichts bereut: „Es war schon schräg. Ich glaube, der Auftritt dieser Frauenband auf dem Roten Platz hat die Perestroika um mindestens zehn Jahre zurückgeworfen.“ Aber was ist schon Musik? Zweitausend Kilometer von zu Hause entfernt, klinge doch alles ziemlich gut, behauptet jedenfalls Markus Lezaun.
Um nicht etwa in Professionalität abzudriften, ist in diesem Jahr, vom 16. bis 23. Juli, eine weit kompliziertere Butterfahrt nach St. Petersburg geplant. „Neu! Jetzt noch umständlicher!“ heißt es da vollkommen überzeugend auf dem Werbezettel. Wie wahr, denn die Reise soll schließlich über Schweden und Finnland verlaufen, wobei sich die Teinehmerzahl verdoppelt. Macht 400 Personen! Gestartet wird in vier Städten: Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf und Hamburg. Dann gibt's das große Treffen in Stralsund, Fahrt mit der Fähre nach Trelleborg, Sonderzug nach Stockholm, Schiff nach Turku und am Ende noch eine 500 km lange Busfahrt nach St. Petersburg. Leider stehen in dem Sonderzug nur 50 Liegewagen zur Verfügung. „Die übrigen 350 Reisenden kommen in moderne Großraumwagen mit verstellbaren Sesseln, wo man ziemlich bequem schlafen kann“, will die schwedische Bahn einem weismachen. Und wer gehört zu den glücklichen 50, die sich zum Schlafen hinlegen dürfen? „Wir sind fair“, meint Vega, „entweder wir nehmen die 50 ältesten Teilnehmer oder die mit dem besten Abitur.“
Doch auch den anderen wird für nur 500 Mark eine Menge geboten. Jeder erhält die üblichen Butterfahrtgeschenke, völlig kostenlos: einen bunt bedruckten Sonnenhut sowie einen gediegenen Sprachkurs, um mit der Bevölkerung zu kommunizieren, in dem Begriffe wie „Sportschau“ und „Fußballergebnisse“ ebenso vorgesehen sind wie ganze zusammenhängende Sätze. („Was riecht denn hier so komisch?“) Nicht zu vergessen den Parfümflakon für die Dame und den praktischen Klappspaten für den Herrn. Für das Musikalische sind dieses mal neben Bazooka Cain die „P-Whips“ aus Düsseldorf zuständig sowie die halbwegs populäre Band „Die Braut haut ins Auge“ aus Hamburg.
Ohne einen anständigen Massenevent geht es natürlich auch in St. Petersburg nicht ab. Wer also Lust hat, 400 Menschen beim Eierlaufen rund um die Eremitage zuzuschauen, der sollte sich schleunigst anmelden. Die russischen Gastfamilien warten schon. Kirsten Niemann
Weitere Infos und Anmeldung: Bazooka Cain Büro. Markus Lezaun, Bismarckstraße 33, 40210 Düsseldorf. Phone: 0211/322103. Fax: 0211/329667
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