■ Jetzt alle Probleme von Rot-Grün bei der SPD abzuladen, nutzt so wenig wie eine hektische Schwarz-Grün-Debatte: Grüne Gewinnerverlierer?
In der Politik ist es manchmal wie im richtigen Leben: Nicht immer ist der Sieger auch ein Gewinner. So ergeht es jetzt den Grünen. Trotz aller Stimmengewinne strahlt ihr Stern nicht mehr so hell wie noch vor wenigen Monaten.
Natürlich hat es erst einmal mit den Problemen des Wunschpartners SPD zu tun, daß die Chancen eines rot-grünen Wechsels in Bonn aus heutiger Sicht so stark verdunkelt sind. Aber folgenreicher noch ist jene Zäsur, die mit dem wahlpolitischen Comeback der FDP verbunden ist. Der Trend zum Dreiparteiensystem plus ostdeutscher Regionalpartei PDS scheint gestoppt. Das verändert die Position der Grünen erheblich.
Solange der Abwärtstrend der FDP anhielt, befanden wir uns in einer vergleichsweise kommoden Lage. Klar auf rot-grüne Präferenzen festgelegt, konnten alle periodisch aufkommenden schwarz- grünen Tupfer im Bund mit einem klaren Nein, aber doch mit einem leichten Augenzwinkern beantwortet werden. Das reichte schon, um angesichts einer siechen FDP den Eindruck entstehen zu lassen, das allerletzte Wort für alle Zeiten sei darüber womöglich noch nicht gesprochen. Zumal bei anhaltendem FDP-Siechtum auch die Union der Frage nach möglichen anderen Partnern und einer inhaltlich-politischen Öffnung zu den Grünen nicht dauerhaft ausweichen zu können schien.
Entsprechend wurde auch die Gretchenfrage, ob grün nun links oder nicht links von der SPD angesiedelt sei, faktisch lange mit einem donnernden „Sowohl-Als-auch“ beantwortet, was dem Querschnitt der Bedürfnisse des grünen Wählerpublikums ziemlich genau entsprach. So schien es nur eine Frage der Zeit, bis die Grünen als Partei einer neuen linksbürgerlichen, ökologisch-sozialmoralisch eingestimmten Mittelschicht in Deutschland den alten Platz der FDP im Parteiensystem einnehmen würden – mit weitreichenden Konsequenzen für das deutsche Parteien- und Gesellschaftsgefüge. In vielen Kommentaren aus dem letzten Jahr ist nachzulesen, wie sehr diese Aussicht manch kluge Konservative schreckte.
Mit all dem ist es nun vorbei. Das wahlpolitische Comeback der FDP beschert der Pünktchenpartei eine neue Chance zur inhaltlichen Eigenprofilierung und enthebt die Union jeder Notwendigkeit zu irgendwelchen grünen Avancen. Und die SPD mag deutlicher auf Rot-Grün zusteuern oder auch nicht: Daß eine Mehrzahl der deutschen Wähler Rot-Grün derzeit nicht für die beste aller Möglichkeiten hält, wird sich dadurch erst einmal kaum ändern.
Daraus erwächst die ganz reale Gefahr, daß die Grünen aus einer vortrefflichen Position, die einen Bereich vom linken Rand bis zur Mitte umspannte, in einen toten Winkel geraten könnten, von dem aus für eine ganze Weile mehr oder weniger schöne Reden zu halten sind, aber weiter nicht viel zu bewegen ist. Und selbst diese Weile könnte kürzer werden. Denn moderne Parteien, die allesamt keine Glaubens- oder Gesinnungsgemeinschaften sind, brauchen machtpolitische Optionen und Umsetzungsmöglichkeiten, wollen sie auf Dauer Erfolg haben. Man mag das intellektuell bedauern oder auch nicht: Es ist so.
Aus diesem Problem gibt es keinen einfachen Ausweg. Jetzt alle Probleme von Rot-Grün beim Wunschpartner SPD abzuladen, nutzt so wenig wie eine hektische Schwarz-Grün-Debatte. Was für einen Grund soll die CDU ausgerechnet jetzt haben, auf die Grünen zuzugehen? Von inhaltlichen Problemen gar nicht zu reden.
Was sollen die Grünen also tun? Das erste ist: Wir müssen noch mehr um wirtschafts- und finanzpolitisches Standing kämpfen. Nicht um die Ökologie auf dem Altar der Standortdebatte zu opfern, wir sind nicht angetreten, um eines Tages da anzukommen, wo andere schon sind. Die Grünen müssen aber eines nicht allzu fernen Tages Glaubwürdigkeit als diejenige Kraft errungen haben, die marktwirtschaftliches Denken gelernt, aber ökologisches Denken dabei nicht verlernt hat. Das ist unsere und nur unsere Rolle.
Ich weiß, daß das leichter gesagt ist als getan. Zumal in diesen Zeiten, wo auch das vordergründigste Arbeitsplatzargument leicht zum politischen Totschläger wird. Ein paar Stichworte lassen sich freilich schon angeben: Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit, Verteuerung von Ressourcen gegen Verbilligung von Arbeitskosten, zusammengefaßt im Projekt einer großen Steuerreform. Vorschläge gehören bald auf den Tisch.
Das zweite hat mit der FDP zu tun. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß der Kampf ums liberale Erbe eben noch nicht entschieden ist. Die FDP muß als Gegner an- und ernstgenommen werden. Westerwelles Programmentwurf, wo vor lauter Marktwirtschaftsradikalismus jeglicher Bezug zur Sozialverpflichtung und zum Ausgleich zwischen den Grundwerten Freiheit und Solidarität praktisch aufgegeben wird, lädt zur Auseinandersetzung geradezu ein. Wenn wir wirklich das ökologisch-linksliberale und bürgerschaftliche Erbe des politischen Liberalismus übernehmen wollen und einen bürgergesellschaftlichen Weg zwischen Staatsgläubigkeit und ungebremster Kommerzialisierung anstreben, dann haben wir in diesem Streit doch gute Karten.
Das dritte ist das Schwierigste: Es muß trotz aller schönen Stimmengewinne nachdenklich stimmen, daß mit Angstkampagnen gegen angeblich rot-grüne Arbeitsplatzvernichter wieder oder immer noch Wahlen zu gewinnen sind. Wir können uns nicht damit begnügen, die Ungunst der Stunde mit den rot-grünen Verwerfungen in NRW zu bejammern. Es geht auch, aber nicht nur, um besseres rot-grünes Koalitionsmanagement. Es darf sich nicht wiederholen, daß Grüne so sehr zum bloßen Objekt der Kampagnen anderer werden. Daß Teufel mit Angstmache vor Rot-Grün Wahlen gewinnen kann, während die Statistik zeigt, daß die Wirtschaftsentwicklung im rot-grünen Hessen weit günstiger aussieht als im Ländle, verweist auch auf Probleme politischer Kommunikation.
Wir müssen handeln und dürfen nicht nur auf die SPD schimpfen. Handeln heißt dabei nicht eilfertige Veränderungen einer strategischen Option für Rot-Grün 1998. Das brächte gar nichts außer einem grünen Glaubwürdigkeitsproblem. Noch sind zwei Jahre Zeit. Und diese Regierung wird nicht dadurch besser, daß andere nicht gut sind. Wir sollten uns in dieser Zeit vor allem auf unsere eigene Kraft konzentrieren. Der Kampf um die politische Rolle der dritten Kraft ist ebensowenig gewonnen wie der ums liberale Erbe. Aber er ist auch noch lange nicht verloren. Hubert Kleinert
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