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Jeppe Hein über das Soziale in der Kunst"Die Leute sollen miteinander reden"

Der dänische Installationskünstler Jeppe Hein ist jung und international erfolgreich. Seine aktuelle Ausstellung in Aarhus zeigt Kunst, die zum Fühlen einlädt und Menschen zusammenbringen will.

Auf sich selbst zurückgeworfen: Besucherin auf Jeppe Heins "Rauchender Bank" Bild: ARoS aarhus
Interview von Lena Unbehauen

taz: Herr Hein, "Sense City" - Stadt der Sinne - heißt Ihre Ausstellung, die seit dem 9. Oktober in Ihrer dänischen Heimat zu sehen ist. Im ersten Moment erinnert dieser Titel an Experimente zum Anfassen und Mitmachen in einem Naturwissenschaftsmuseum. Wie kann der Besucher die Kunst in Ihrer Museumsstadt "erspüren"?

Jeppe Hein: Alles in "Sense City" ist so weit reduziert, dass sich ein Dialog zwischen Kunstwerk und Betrachter entwickeln kann - vor allem aber auch zwischen den Besuchern untereinander. Leben und Spaß füllen nur dann die Stadt, wenn Menschen präsent sind und die Kunst aktiv erfahren - je mehr Leute, desto besser. Mein Verständnis von Kunst beinhaltet, dass man viel mehr seine Sinne nutzen und Kunst nicht nur sehen sollte. Oft geht man ins Museum und die Leute fragen: Was hast du gestern gesehen? Wenige fragen: Was hast du gespürt? In meiner Ausstellung kann man viel körperlich wahrnehmen: eine rauchende Bank; eine Stahlkugel, die einen verfolgt; ein Spiegel, der vibriert wie bei einem Erdbeben. Das ist wichtig, denn jeder Mensch spürt dabei etwas anderes. Ein Kind, ein Erwachsener, ein Kunstkritiker oder ein Journalist wird die Kunst wahrscheinlich in einen anderen Kontext setzen. Meist erfährt jeder Kunst anders, manchmal auch gleich - aber oft erst miteinander.

Sense City

"Sense City" ist eine Stadt im wahrsten Sinne des Wortes. 1.500 Quadratmeter Fläche, verteilt auf zwei Ebenen, nimmt die bislang größte Ausstellung des dänischen Künstlers Jeppe Hein bis Ende Februar im ARoS Museum in Aarhus ein. Eine 400 Meter lange Kugelbahn mit Loopings und Hebewerken durchquert das Foyer und die Gegenwartsgalerie. Der Besucher selbst setzt "seine persönliche Kugel" in Gang und folgt ihr durch die permanente Sammlung. Das Werk namens "Distance" wurde zwar bereits 2004 konzipiert und ausgestellt, doch erst im Dialog mit anderen Kunstwerken erhält es seine Aussagekraft. Auf der unteren Ebene ermöglicht ein Stadtplan dem Besucher, seinen eigenen Weg durch die "Stadt der Sinne" zu finden. Minimalistische, reduzierte Räume, geografische Formen und eine gemalte Silhouette erwecken den Eindruck einer verwinkelten Stadt. Jede Ecke, jede Wand und jeder Raum birgt Überraschungen und Möglichkeiten zu neuen Sinneserfahrungen. Die meisten Werke sind interaktiv und reagieren durch Sensoren auf die Anwesenheit des Betrachters. Sie rütteln, rollen oder drehen sich. Manchmal qualmen sie sogar. Ihr spielerischer Charakter lädt ein, den Museumsraum zu vergessen und nicht nur auf Kunst, sondern auch auf unsere Mitmenschen aufmerksam zu werden. (lu)

Wie soll dieser Dialog konkret entstehen?

Meine Kunstwerke in der Ausstellung sprechen unterschiedliche Ebenen an. Manche sind sozialer, andere eher individuell. "Smoking Bench", eine rauchende Bank vor einer Spiegelwand, ist einerseits sehr individuell, und doch auch nicht. Der Besucher setzt sich auf die Bank und betrachtet sich im Spiegel. Der Rauch, der nach einiger Zeit aus der Bank strömt, lässt ihn verschwinden. Er verschwindet für sich selbst im Spiegel, aber auch für andere. Er wird unsichtbar in einem Raum, in dem er eigentlich sehr präsent ist. Das ermöglicht einen Moment der Selbstreflexion, um in sich hinein zu spüren und das Außenherum zu vergessen. Ein anderes Beispiel ist eine Stahlkugel, die den Galerieraum zerstört. "360° presence" heißt das Werk. Man kommt herein, ein Sensor wird aktiviert, und die 70 Zentimeter hohe Stahlkugel bewegt sich durch den Raum - mal auf dich zu, mal von dir weg, mal gegen die Wände. Es scheint, als würde der Besucher unbewusst den Galerieraum zerstören. Denn die Kugel fährt nur, wenn er da ist. Zu einem sich bewegenden Objekt baut man sehr schnell eine Beziehung auf. Deshalb glaubt der Besucher, die Kugel bemerke ihn.

Sie sagten zu Beginn, Ihre Kunst solle vor allem gemeinsam wahrgenommen werden. Soll sich durch so eine Erfahrung auch unser Sozialleben zum Positiven entwickeln?

Ich glaube schon. Kunst kann Menschen unterschiedlicher Kulturen verbinden, ein Lächeln hervorrufen, einen Kommentar provozieren oder einen Dialog schaffen. Kunst kann wie ein Katalysator wirken, so dass die Leute wieder mehr miteinander kommunizieren und Spaß haben. Meine Kunst versucht dies auf unterschiedlichen Wegen mittels des Überraschungseffekts. Der kann unser Erlebnis von Kunst entscheidend verändern. Man fragt sich plötzlich: Wo ist die Grenze zwischen mir, dem Objekt und dem Museum? Wie nahe kann ich dem Werk kommen? Wie sehr bin ich Teil der Kunst? Auch unser soziales Verhalten wird beeinflusst. Ein einfaches Beispiel aus der Ausstellung: Die Kugel schlägt gegen die Wand. Du schaust dich um und da steht jemand, den du nicht kennst. Dieser jemand macht einen Kommentar wie etwa "Achtung, aufpassen!" und plötzlich beginnt ein Dialog zwischen euch beiden. Ich hoffe, dass viele Leute, die sich gar nicht kennen, miteinander über meine Kunst sprechen werden, wenn sie diese erleben. Es ist sehr wichtig für unsere Gesellschaft, dass wir wieder mehr miteinander reden.

Der zwischenmenschliche Kontakt, der in modernen Großstädten meist verloren gegangen ist?

Ja, total verloren. Unsere Gesellschaft - speziell in Dänemark - wird immer egoistischer und rassistischer. Das spiegelt sich auch in der Begrenzung des öffentlichen Raumes wider. In den letzen zehn Jahren wurden viele Parkbänke aus dem öffentlichen Raum entfernt, so dass man sich zunehmend nicht mehr in der Öffentlichkeit trifft. Wenn es keine Bänke gibt, kann man auch nicht sitzen. Das wiederum vermindert die Möglichkeit für soziale Begegnungen. Das ist meiner Meinung nach ein großes Problem. Meine Kunst hat viel damit zu tun, wie man Leute zusammenbringen und soziale Grenzen überwinden kann.

Jeppe Hein im Spiegelkabinett seiner Ausstellung Bild: ole hein pedersen/aros arhus

Apropos Parkbänke. Ihre zehn "social modified benches" - Bänke mit spielerisch veränderten Sitzflächen - wurden bereits vor der Ausstellungseröffnung draußen aufgestellt. Sie werden vielfältig benutzt: von Eis schleckenden Pärchen und übenden Skatern zum Beispiel. Ist es Ihre Absicht, dass Kunst im öffentlichen Raum so alltäglich genutzt wird?

Ja, das finde ich super. Wenn man als Künstler Werke im öffentlichen Raum platziert und Menschen das nutzen, ist das ein Erfolg. Für mich ist sehr interessant, wie man künstlerisch daran arbeiten kann, dass der öffentliche Raum in der Stadt überlebt. Es gibt leider genug Kunst im öffentlichen Raum, die nichts mit der Umgebung, der Gesellschaft und den Leuten der Gegend zu tun hat. Einfach eine Steinskulptur auf einen Platz zu setzen, reicht heutzutage nicht mehr. Kunst im öffentlichen Raum muss neu überdacht werden. Man muss mit anderen Werkzeugen arbeiten. Ich sehe meine Kunst als ein Werkzeug für Kommunikation und Dialog. Eine Bank oder ein Wasserpavillon fängt erst dann an, Kunst zu sein, wenn Leute sie auch nutzen.

Ist ungenutzte Kunst im öffentlichen Raum demnach ohne Nutzen?

Das ist eine schwierige Aussage. Aber ich glaube, neue Kunst im öffentlichen Raum muss die Umgebung und den sozialen Aspekt besser mit einbeziehen.

Wasserpavillons und verformte Parkbänke - das klingt mehr nach lustiger Spielerei als nach Kunst. Inwieweit darf Kunst Spaß machen, wenn sie ernst genommen werden will?

Die Grenze ist extrem fließend. Wenn es zu spaßig wird, dann ist es schlechte Kunst. Darum ist Erfahrung für uns Künstler so wichtig, um zu wissen, wo die Grenze zu setzen ist. Auch ich habe schon einmal ein paar Ideen deswegen verworfen. Generell ist aber Spaß, ein Lachen oder zumindest ein Lächeln auch in der Kunst ein extrem guter Weg, um einen Dialog mit anderen Menschen aufzubauen. Besonders hilfreich ist es, um Kinder an Kunst heranzuführen. Wenn Kinder im Museum Spaß haben und etwas erleben, dann erzählen sie es weiter und gehen zwei Jahre später wieder ins Museum. Solche Kunst ermöglicht es Kindern, Kunst auf anderen Wegen zu erfahren. Dann ist Kunst nicht nur eine Malerei, die man nicht anfassen darf. Sondern man selbst wird plötzlich Teil der Erfahrung.

Eine kindliche Herangehensweise an Kunst ist also gar nicht so schlecht?

Ganz und gar nicht. Wir Erwachsenen haben leider nur gelernt, Grenzen für unsere Wahrnehmung zu setzen. Das darf man, jenes aber nicht. Das wissen Kinder noch nicht und haben daher eine ganz andere Art und Weise, mit Kunst umzugehen. Unsere Gesellschaft begrenzt uns schon von früh an. Sie gibt uns einen gewissen Filter vor, wie wir die Welt wahrnehmen sollen. Diesen Filter versuche ich mit meiner Kunst in Frage stellen und wieder zu öffnen.

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4 Kommentare

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  • V
    Verlaine

    An Castro: Welche Beispiele für gelungene, die Grenzen der Institution übertretende Kunst fallen Ihnen ein? Die Idee ist gut, doch die Welt dafür bereit?

  • S
    Sale

    Super, dass die taz auch Werbung von der Deutchen Bank hat...Ja, ja die Deutsche Bank unterstützt die Kunst. Weiter so :/

  • C
    Castro

    Dass partizipative Kunst "Leute", zum kommunizieren bringt ist leider ein Mythos. Zum einen ist die gesellschaftliche Auslese, die es an die Orte der Kunst schafft, sowieso schon sozial gefiltert, so dass sich "Leute" auf eine gewisse Zielgruppe, nämlich auf die der kunstadepten Bildungsbürger beschränkt. Zum anderen scheint mir, die Qualität der Begegnung oder des sozialen Aspekts sollte genauer hinterfragt werden. Miteinander "zu kommunizieren und Spass zu haben" ist nichts anderes als das, was die Kulturindustrie seit Jahrzehnten betreibt: Die Auflösung der Isolation des Konsumenten zugunsten einer gemeinschaftlichen Konsumerfahrung, die letztendlich emotionale Bindungen zu den Derivaten der Konsumgesellschaft verfestigt. Bösartig ausgedrückt wäre das ein "Wir"-Gefühl, das den "Anderen" zwar zu instrumentalisieren vermag, ihn jedoch faktisch ausklammert. Welchen Sinn hat es, anders gefragt, mit anderen zusammen zu sein, die dem gleichen Erfahrungshintergund der gleichen Bildungs- und oft Einkommensschicht entstammen, um zusammen "Spass" zu haben, wo es doch so viele wichtigere Dinge gäbe, über die es sich lohnen würde, zu kommunizieren. Ich wage es auch zu bezweifeln, dass der Spass wirklich ein Katalysator zu ernsthafternen Dialogen sein kann. Mir selbst ist das jedenfalls in nunmehr fast 15 Jahren relationeller Kunsterfahrung noch nicht untergekommen.

    Der Künstler bemerkt zwar richtig, dass es wichtig sei, wenn wir wieder mehr miteinander redeten. Aber der Dialog als solcher ist kaum ein Qualitatätsmerkmal, wie man zum Beispiel an Rirkrit Tiravanijas Wohnungsaktionen erfahren konnte, wo Sammler und Galeristen bei Thai-Nudeln über ihre nächsten Deals kommunizieren.

    Wichtig ist mehr denn je also die Frage, worüber wir eigentlich miteinander reden.

    Es ist kaum denkbar, dass die Kunst, wenn sie Begegnung schafft, gegen Gentrifizierung und Enthumanisierung von Städten etwas erreichen kann, wenn sie sich nicht aus dem institutionellen Rahmen löst, in dem sie verhaftet ist. Man sollte darüber nachdenken, ob die Kunst in ihren Institutionen nicht genau diese Prozesse untermauert, gerade wenn sie sich kritisch zu Ihnen stellt, ohne die Dinge jedoch wirklich verbal oder semiotisch auf den Punkt zu bringen. Ich glaube Jeppe Hein seine Aufrichtigkeit im Bezug auf das Verschwinden von Orten von Kommunikation und angesichts einer zunehmend exklusionistischen, gar rassistischen (nicht nur dänischen) Gesellschaft. Es bleibt aber zu bedenken, dass gerade die Verschiebung des Problems auf den instituionellen Rahmen, betoniert, dass in der Zukunft nur noch diese spezifischen Orte in der spätkapitalistischen Stadt für Begegnung vorgesehen sein sollen.

    Wenn man hier also soziale Grenzen überwinden möchte, muss man sich erstmal darüber im Klaren sein, dass die Kunstinstitution selbst soziale Barrieren setzt und auch wenn sie extra-institutionell, im öffentlichen Raum in Erscheinung tritt, oft instituierend und exkluierend wirkt. So kann ein verspielter, interaktiver Brunnen zwar sowohl Kunstliebhaber wie auch deren Kinder erfreuen. Er kann aber auch Obdachlose und andere "Unerwünschte" vertreiben. Nach denen fragt jedoch in der Regel kaum einer. Deshalb finde ich es -pardon- verlogen, Partizipation per se als Qualitätsmerkmal hinzustellen.

    Wie besipielsweise die Integration von Kunst, Skatern und Touristen, ja selbst von Quartiersbewohnern zur Vertreibung derselben und anderer Unerwünschter wie den Rroma, Obdachlosen, Prostituierten, Arbeitslosen, Armen, Alkohol- und Drogenkranken führen kann, wurde am Beispiel des MACBA in Barcelona deutlich.

    Die Kunst spielt leider viel zu oft eine Rolle bei diesen Gentrfizierungsprozessen, selbst wenn sie sich oberflächlich in Opposition stellt. Die strukturellen Veränderungen, die sie bewirken kann, bleibt leider auch für die Künstler viel zu oft unerkannt: Auch die alleinige kulturelle Aufwertung eines Quartiers, hört sich erstmal gut an, führt aber schlicht und einfach dazu, dass die Mieten im Viertel steigen. Hier ist die Kunst gefordert: Wenn es darum geht für Kommunikation zu sorgen, dann können die Künstler auch im Sinne einer sozialen Vertäglichkeit von Kunst tätig werden.

    Wenn Jeppe Hein sagt, Spass sei ein guter Weg, Kinder an Kunst heranzuführen, dann hat er sicherlich Recht. Man könnte ihn jedoch fragen, wieviele Arbeiter- oder Ausländerkinder diesen Spass denn erleben können.

    Die Idee, dass Kunst benutzbar, unmittelbar erfahrbar, ein Teil der Realität von Menschen wird ist ja prinzipiell richtig, toll und gut gedacht. Aber leider nicht weitreichend genug. Natürlich ist es ehrenwert, gesellschaftliche Begrenzungen in Frage zu stellen. Um dabei wahrhaftig zu sein, muss man sich auch über die sozialen und ethnischen Beschränkungen der Kunstwelt und des künstlerischen Ausdrucks an sich bewusst werden und die gestellten Fragen unter diesen Umständen vielleicht auch verhandeln.

  • BL
    Bryan Li

    Schoenes Artikel! :) Gut geschrieben