Jenseits von Mottram Hall: Griesgrämiges Einerlei
■ Wer gern im Ausland kickt, muß bei der Euro 96 meist draußen bleiben
Im Café um die Ecke hat ein Betrunkener übers Klobecken geschrieben, wie er sich den Himmel denkt. Dort kommen die Cops aus England, die Köche aus Frankreich, die Lover sind Italiener, die Mechaniker stammen aus Deutschland – und das alles zusammen wird von der Schweiz organisiert. Auf Fußball wird man dort oben also wohl verzichten müssen.
Hier unten, auf dem englischen Rasen, ist es mit der Arbeitsteilung eh nicht weit her.
Das ist Harald FRICKE
Sein Spieler: Paul Gascoigne. Er hat schöne Hände, sanfte Ellenbogen, zarte Knöchel und eine positive Arbeitseinstellung.
Sein Team: England. Sie haben Beatles, Glamrock, Punk und Pop erfunden. Das zeugt von einer positiven Arbeitseinstellung.
Europameister 96: Frankreich. Sie haben Laisser-faire, Savoire-vivre und das entsprechende Glück beim Elfmeterschießen.
Die Teams wurden streng zusammengezurrt, für Globetrottertypen ist in erfolgreichen Nationalmannschaften kein Platz. Wer gerne im Ausland spielt, muß draußenbleiben. Oder er verliert: die Russen, Rumänen, Bulgaren, die Schweiz und Dänemark sind ausgeschieden; Schweden hat nicht einmal die Qualifikation geschafft. Statt dessen schlich bei Holland der Rumpf von Ajax Amsterdam übers Feld, und die Briten sind von Arsenal bis Manchester auf dem Mist der eigenen Division gewachsen (nur Gascoigne kickt bei den Glasgow Rangers). Irgend etwas hängt windschief bei Euro 96.
Dabei fielen noch während der Meisterschaft, die man bei „Ran“ vor dem Bildschirm absaß, die Gaststars auf. Prima, wie Mulder für Schalke ackerte! Souverän der Einsatz von Dahlin, Sergio, Elber, Polster, Kadlec oder Kirjakow. Sogar Sutter konnte man in Freiburg manchmal frohgemut beim Flanken zuschauen. Wer freut sich da schon auf einen Bayern namens Babbel. Selbst die offizielle UEFA-Regelung wurde dem Trend zum gemischten Fußball entsprechend hingebogen, damit Pappnasen wie Christoph Daum oder Winnie Schäfer beim Wechseln die Pässe nicht durcheinandergeraten.
Überhaupt waren die Cups viel bunter, als die Spieler aus allen Himmelsrichtungen anreisten. Wie aufregend erschienen einem seinerzeit die Finessen der liebevoll Legionäre genannten Littbarski, Häßler oder Völler. Begeistert sah man dann Häßler lange Bälle traumhaft vor die Füße Völlers schlagen, was bloß funktionieren konnte, weil die zwei sich aus Italien viel sympathischer waren als der Rest von Pfälzern oder Schwaben, die vorher Spiel für Spiel in der Bundesliga wütend gegeneinander angerannt waren. Auch mußte man nicht Fußballern hinterherjubeln, die einem im wirklichen Leben schnurzegal waren. Es gab ja Italien. Die Ferne verbindet, und im Stadion konnte man plötzlich staunen, was die „Heimkehrer“ in der Fremde gelernt hatten. Zu Recht wurde sogar an Matthäus Mailänder Grandezza gelobt. Jetzt liefert die deutsche Mannschaft nurmehr über die Saison mühevoll in Konkurrenz antrainiertes, griesgrämiges Einerlei. Davon werden manche natürlich angefressen.
Dagegen hört man selten Sätze wie Rubenbauers Kommentar beim Match zwischen Frankreich und Holland, als er über Witschge meinte, seine Clownereien würden bei Bordeaux auch Dugarry stets vergnügen – während beide nach einem Zweikampf verletzt, doch fast vereint vom Feld getragen wurden. Wer wollte indes Ähnliches über all die anderen, zunehmend entfremdet aufeinander einholzenden Knochentreter behaupten? Erst nach der EM finden die dann wieder frei nach Gesetzen des Transfermarkts flottierenden Geister zusammen: Frankreichs Zidane soll ab Herbst neben Holländern, Briten, wenn nicht gar Schweden für FC Parma oder Juventus Turin stürmen. Und Klinsmann möchte am liebsten in England bei Manchester United bleiben, für die schönen Tage nach Mottram Hall. Harald Fricke
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