: Jenseits von IRA und Joyce
■ „Irland-Woche“ mit Film, Musik und Literatur ab 19. 1. in Walle
Schlicht zum Wahnsinn können einen die Deutschen mit ihrer Irland-Liebe treiben. Bei dem am Donnerstag beginnenden Irland-Festival klagt die Pflasterstrand-Autorin Elmarie Maletzke: „Horden von Heinis durchkreuzen die Insel in Zigeunerwagen und Kabinenschiffen und hinterlassen im Zuge ihrer Verbrüderungsmaßnahmen einen germanisch-keltischen Jugendherbergsmief. Im Gegenzug erscheinen auf dem Kontinent im Rahmen sogenannter Folkfestivals alte Alkoholiker, die auf ihren Fideln sägen...“
Die Veranstalter der Irischen Kulturwoche im Medienzentrum Walle werden die beinharten Schläge der Klischee-Tourismus-Schelte abwehren können. Schließlich haben sie Maletzke zur „Very german Discussion: (Mis)Understanding the Irish“ eingeladen. (So., 17.oo) Und sich zweitens, mit dem Titel „Beyond the Green Fields“ auch ein weit entferntes Erkundungsziel gesteckt, das als Alibi in Sachen ausgetretener Pfade im immer grünen Irland, der endlosen Weisen , und achso unberührten Natur dient.
Gleich zur Sache, das heißt im Falle Irlands zum gerade erst beigelegten Nordirland-Konflikt, geht's bei den Filmen des Festivals. Wie Christine Rüffert vom Kommunalen Kino erläutert, hat man hier bewußt auf Parteilichkeit und sperrige politische Standpunkte gesetzt. An moralisch integrem Beifallsnicken, wie es der Irland Erfolgsfilm „Im Namen des Vaters“ beim Publikum provoziert, war man nicht interessiert. Im Zentrum der hochkarätigen Filmreihe des Festivals, bei der von 16 Filmen 10 Streifen deutsche Erstaufführungen im Kommunalen Kino sind, steht Regisseur Joe Comford. Von ihm sind: „Reefer and the Model“ (Fr. 18.30), „Traveller“ und „High Boot Benny“ zu sehen. (Sa.18.30 u. 20.30) Anschließend an den jüngsten, 1993 entstandenen Film, der von der Situation an der irischen Grenze, der Angst eines 17jährigen vor Verfolgung durch die IRA und dem tiefeingefleischten Mißtrauen zwischen Katholiken und Protestanten berichtet, wird es eine Diskussion mit Regisseur Joe Comford geben. Ob sich schon viel an der traumatischen Lebenssituation in Irland verändert hat? Subjektive Erfahrungen und politische Veränderungen zu dokumentieren, mehr kann man von einem Festival kaum erwarten, das sich im nachhinein zu seinem Timing gratulieren kann.
Zeitlos schön und seit Jahren bei den eingefleischten Irland-Freaks beliebt: Irish Folk. In den ethnisch inspirierten „Roots Nights“ tritt im Schlachthof die Gruppe Altan auf, eine Band die ein ausschließlich traditionelles Repertoire spielt und damit dennoch die Säle füllt. Für Zuhörer, denen die Fiddel in die Knochen fährt und die Füße zappeln läßt, wird es am Wochenende einen Workshop geben.
Zum Stillsitzen, aber kaum weniger amüsant, wird das literarische Programm des Festivals angezeigt sein, das mit den Künstlern Tony MacMahon, Iarla O'Lionaird und John O'Donohue Sänger und Poeten auf der Bühne vereinigt (So 21.00). John O'Donohue, ein katholischer Priester, der in Tübingen seine Doktorarbeit über Hegel auf deutsch (!) geschrieben hat, tritt mit einem für einen Kirchenmann verblüffenden Genre an die Öffentlichkeit: Liebeslyrik. Michael Augustin, Mitorganisator von Radio Bremen: „Bislang wußte ich nicht, das jemand, der dem Zölibat verpflichtet ist, so über die Liebe schreiben kann.“ Der Nervenarzt aus Wien nannte das Sublimation. Am gleichen Tag tritt Elemarie Maletzke auf, der sich ein anderer überaus professioneller Provokateur der Sprache zu Seite gesellt. Harry Rowohlt, der Flann O'brien offensichtlich als Überzeugungstäter übersetzt. Seine Qualitätserschätzung orientiert sich ganz an der literarischen Tradition Irlands. „So hätte James Joyce geschrieben, wenn er nicht so bescheuert gewesen wäre.“ Vielleicht erklärt das ein Land, das neben dem Alkoholkonsum, der auch beim Festival kaum in homäopatischen Dosen erfolgen wird, einen weiteren unproduktiven Rekord: Irland liegt, neben Lettland, weltweit mit der Zahl der Dichter pro Kopf der Bevölkerung in Führung. Susanne Raubold
Eröffnungsveranstaltung am Do. um 20.30 mit der „Moondance“-Premiere. Programmheft beim Medienzentrum und Kino 46 und im taz-Kinoprogramm
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