: Jenseits des Trainings
Als Spitzenreiter agiert Bremen souverän wie einst die Bayern. Nur beim Vertragspoker besteht Nachholbedarf
Gladbach taz ■ An diesem Nachmittag entschieden keine trainierbaren Fähigkeiten über Sieg und Niederlage. Ausschlaggebend für den 2:1-Sieg der Bremer auf dem Mönchengladbacher Bökelberg waren jene geheimnisvollen Kräfte, die vom Zahlenwerk der Bundesligatabelle ausgehen. „Uns hat heute das Selbstbewusstsein des Spitzenreiters zum Sieg verholfen“, sagte Bremens Kapitän Frank Baumann, der in der Nachspielzeit, dieser insgesamt ausgeglichenen Partie den Siegtreffer für die Bremer erzielt hatte. Mönchengladbachs Jeff Strasser ergänzte: „Dieser Ausgang drückt einfach aus, wie es ist, wenn die eine Mannschaft oben steht und einen Lauf hat, während die andere gegen den Abstieg spielt.“
Die Stärke der Bremer ist tatsächlich beeindruckend. Wie schon im Pokal in Fürth gelang es zum zweiten Mal innerhalb einer Woche, den entscheidenden Treffer in Unterzahl in der Nachspielzeit zu erzielen. Diese beängstigende Kaltschnäuzigkeit scheint sich langsam zum festen Merkmal der Bremer Auswärtsspiele zu entwickeln.
Schon nach dem letzten Auftritt auf fremden Platz im Jahr 2003, beim 3:1 in Leverkusen, wurde vielfach jener Vergleich bemüht, den Sportdirektor Klaus Allofs auch auf dem Bökelberg zog: „Das war heute die Souveränität, die man eigentlich den Bayern zuschreibt“, freute sich der Manager, und tröstete sich so über das weiterhin ausbleibende Glück im Poker um neue Verträge mit seinen wichtigsten Spielern hinweg.
Nachdem unter der Woche die Verhandlungen mit Krisztian Lisztes gescheitert waren, droht auch eine Einigung mit Ivan Klasnic auszubleiben. „Wir befinden uns in Gesprächen und setzen uns in der kommenden Woche noch einmal zusammen“, verkündete Allofs am Samstag, aber der Stürmer tendiert dem Vernehmen nach eher zu einem Angebot aus Leverkusen als aus Hamburg. Sollte es der HSV nicht doch schaffen, den ehemaligen St. Pauli-Spieler Zlatan Bajramovic (SC Freiburg) mit einem guten Angebot in seine Heimatstadt zurückzuholen und somit Klasnic davon zu überzeugen, dass mit Rahn, Meier, Bajramovic und ihm vier Spieler aus dem ehemaligen Bundesligakader der Kiezkicker in ihrer Heimatstadt wieder zusammenspielen könnten.
Mit den Abgängen von Ailton, Mladen Krstajic, Lizstes, und wahrscheinlich Klasnic löst sich das erfolgreiche Team der laufenden Spielzeit immer weiter auf, was die Bemühungen, die 2005 auslaufenden Verträge der Schlüsselspieler Fabian Ernst und Johan Micoud vorzeitig zu verlängern immer komplizierter macht. „Die Mannschaft zerbröselt keineswegs, sie verändert sich nur, und das sind ganz normale Dinge“, redete Allofs seine problematische Situation schön. Wie wichtig in dieser Lage Erfolgsmeldungen sind, zeigte sich jedoch, als er sich dazu hinreißen ließ, einen unausgegorenen Transfer zu verkünden. „Für das Mittelfeld haben wir schon eine Lösung, die ich aber noch nicht nennen kann“, so der Sportdirektor.
Große Sorgen dürfte ihm nach dem Spiel in Mönchengladbach aber vor allem das Sturmproblem bereiten. Ailton saß zu Beginn der Partie wegen der Folgen einer Grippe auf der Bank, man konnte also einen kleinen Blick in die Ailton-lose Zukunft werfen. Trotz klarer Überlegenheit gelang es der erfolgreichsten Offensive der Liga in der ersten Halbzeit nicht, sich auch nur eine zwingende Torchance zu erarbeiten. Als Ailton nach einer Stunde beim Stand von 1:1 eingewechselt wurde, nahm das Angriffsspiel direkt ein höheres Tempo auf, auch das Mittelfeld entwickelte plötzlich ganz neuen Mut bei den Anspielen in die Spitze. Zuvor blitzte das Bremer Tempospiel lediglich in der einen Szene auf, als Klasnic den Führungstreffer von Vaclav Sverkos (51.) egalisierte (54.).
Erstaunlich ist dennoch, wie unbeeindruckt dieses Team den Selbstauflösungsprozess hinnimmt, und sich im Spiel auch in schwierigen Situationen niemals einschüchtern lässt. Der Erfolg scheint wirklich unerschöpfliche Kraftressourcen freizulegen. Nicht nur, dass die Bremer die schlechten Nachrichten von der Vertragsverhandlungsfront wegstecken, und die Gelb-Rote Karte von Krstajic (71.) verkraften mussten, auch die Platzverhältnisse brachten ganz klar die mit langen Bällen operierenden Gladbacher in Vorteil. „Das ist kein Platz, das ist eine Katastrophe“, schimpfte Bremens Trainer Thomas Schaaf, und Allofs ergänzte, „für uns als kombinierende Mannschaft war das schon ein klarer Nachteil“. Aber es sei eben „die Stärke dieser Mannschaft, niemals zu sagen, heute ist nicht unser Tag“, meinte der Sportdirektor. Auf dem Platz und in der Tabelle haben die Bremer die Bayern-Rolle fest in der Hand, nur am Verhandlungstisch will das einfach nicht gelingen.DANIEL THEWELEIT