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Jelzin weicht Konfrontation aus

■ Korrektur der Wirtschaftsreformen gefordert / Keine Reaktion auf Amnestiegesetz der Duma

Moskau (AFP/taz) – Der russische Präsident Boris Jelzin sucht den „dritten Weg“: Bei einer als „richtungweisend“ angekündigten Rede, die der Präsident am Donnerstag morgen vor beiden Kammern des russischen Parlaments hielt, teilte er seinem überwiegend reformfeindlichen Publikum mit, daß der Weg der reinen Marktwirtschaft nicht der einzig gangbare sein könne. Die Schaffung eines Systems zur Regulierung der Marktwirtschaft stelle keinen Rückschritt, sondern einen Fortschritt dar, eine Weiterentwicklung der Reform, eine Stärkung des russischen Staates. Gleichzeitig betonte der russische Präsident jedoch, daß er den 1992 eingeschlagenen Reformkurs fortsetzen werde.

Auf die vom Parlament einen Tag zuvor verabschiedete Amnestie für die Putschisten von 1991 und die Oktober-Aufständischen ging der Präsident nur indirekt ein. Seine politischen Gegner seien offenbar immer noch an „gewalttätiger Rache“ interessiert, stellte er fest. Äußerungen aus dem Beraterkreis des Präsidenten deuten jedoch darauf hin, daß Jelzin nicht gegen das Amnestiegesetz vorgehen wird. Auch der von Jelzin ernannte Generalstaatsanwalt Alexej Kassanik bestätigte die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Staatsduma.

Insgesamt stellte die Rede Jelzins eine deutliche Reaktion auf den Wahlerfolg der Ultranationalen um Wladimir Schirinowski dar. So stand am Beginn der Rede nicht nur eine längere Ausführung zu Schirinowskis Wahlkampfschlager „Verbrechensbekämpfung“, sondern zugleich bekannte sich der Präsident auch insgesamt zu einer Kurskorrektur. Er bestätigte damit die Politik von Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin, dessen Kritik an der monetaristischen Wirtschaftspolitik zum Ausscheiden der Reformer aus dem Kabinett geführt hatte. Mehrfach verwies der Präsident auf Fehler, die durch die Refomer gemacht worden seien. Als konkrete Wirtschaftsziele nannte Jelzin in der rund einstündigen Ansprache die Senkung der Inflationsrate auf drei bis fünf Prozent im Monat. Andererseits sollten die produzierenden Betriebe eine „reelle Unterstützung“ vom Staat erhalten. Dies solle jedoch nicht heißen, daß alle ihre Forderungen erfüllt würden. Jelzin kündigte auch eine Reform der Zentralbank an, nannte jedoch keine Einzelheiten.

Auch gegenüber der russischen Militärführung zeigte sich der Präsident zu weiteren Konzessionen bereit. 1994 müsse Schluß sein mit der „üblen Praxis einseitiger Zugeständnisse“ auf Kosten des Verteidigungshaushalts. Die Kontrolle zur Nichtverbreitung von Atomwaffen und des internationalen Waffenhandels müsse verstärkt werden, ohne daß dabei russische Wirtschaftsinteressen beeinträchtigt würden.

Im außenpolitischen Teil seiner Rede wies Jelzin noch einmal auf den russischen Erfolg bei den Verhandlungen über den Abzug der serbischen Waffen aus Sarajevo hin. In Zukunft werde Rußland in der Außenpolitik eine größere Rolle spielen. Entschieden sprach sich der Präsident gegen eine Nato-Erweiterung ohne Einbeziehung Rußlands aus. Eine solche Erweiterung wäre „ein Weg hin zu neuen Bedrohungen für Europa und die Welt“. Rußland bevorzuge eine „Partnerschaft“ zwischen den früheren Ostblockstaaten und dem Westen. Der Staatschef betonte, daß Rußland ein Recht auf eine unabhängige Außenpolitik habe. Dies solle jedoch nicht zu einer Konfrontation mit dem Westen führen. „Unser Hauptziel ist es, keinen neuen Krieg zu beginnen, ob heiß oder kalt“, sagte er. Rußland sei noch kein „demokratischer Staat“ oder ein „Rechtsstaat“. Kommentar Seite 10

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