: Jelzin taktiert für Gaidar
■ Heute entscheidende Abstimmung im Moskauer Volksdeputiertenkongreß
Moskau (AFP) – Im Streit mit der konservativen Opposition Rußlands um den amtierenden Ministerpräsidenten Jegor Gaidar hat Präsident Boris Jelzin am Dienstag zu einem taktischen Mittel gegriffen. Um den von Kommunisten und Nationalisten abgelehnten Reformpolitiker und Wirtschaftsexperten zu retten, stellte er den Volksdeputierten Außenminister Andrej Kosyrew zur Disposition.
Obwohl Jelzin nach den abgelehnten Verfassungsänderungen am Samstag nicht gezwungen ist, das Kabinett dem Kongreß zur Abstimmung vorzustellen, schlug er den Abgeordneten vor, neben Kosyrew über drei weitere Kandidaten für Ministerposten zu befinden. Anschließend präsentierte er den 36jährigen Gaidar als Ministerpräsidenten. Während die Konservativen Jelzins Zugeständnis an sie für nicht ausreichend hielten, sprachen einige seiner Anhänger von einer Katastrophe.
„Ich bin überzeugt, daß die Marktwirtschaft nicht gesichert sein wird, wenn ein Vertreter einer der Parteien ernannt wird. Das Land braucht einen Spezialisten, der die Wirtschaft und ihre Krankheiten kennt“, verteidigte Jelzin seinen Kandidaten, über den die Deputierten des 7. Volksdeputiertenkongresses heute entscheiden wollen. Gaidar, der seit Juli geschäftsführend das Amt des Ministerpräsidenten innehat, sei eine „Garantie für die ganze Welt, daß die Reformen“ in Rußland fortgeführt werden.
Zuvor hatte der Präsident angekündigt, er werde seine Kandidaten für die Posten des Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Innenministers dem Volksdeputiertenkongreß vorstellen, damit dieser seine Zustimmung gibt. Gegenwärtig werden diese Ressorts von Kosyrew, General Pawel Gratschow, Viktor Barannikow und Viktor Jerin geleitet. Von den betroffenen Ministern ist Kosyrew der einzige, der von der Opposition im Kongreß angegriffen wurde, unter anderem wegen seiner kompromißbereiten Haltung im Kurilen-Streit mit Japan. Nach Ansicht von Beobachtern will Jelzin mit diesem Angebot versuchen, seinen Gegnern die Zustimmung zu Gaidar schmackhaft zu machen. Laut Verfassung benötigt er den Kongreß nur zur Ernennung des Regierungschefs, nicht aber für die der Minister.
Laut der Nachrichtenagentur Interfax hatte sich Jelzin, bevor er Gaidar als Ministerpräsident vorschlug, mit den Wortführern der verschiedenen Strömungen abgesprochen. Die Mehrheit habe dabei seinem Vorschlag zugestimmt, hieß es. Dennoch wurde nicht ausgeschlossen, daß Kommunisten und Nationalisten der Ernennung Gaidars woch noch großen Widerstand entgegensetzen könnten.
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