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■ Jelzin kritisiert Nato-Angriff auf serbische StellungenAllzu vertraute Töne

Wenngleich schlecht bestritten werden kann, daß erst das Ultimatum der Nato die bosnischen Serben vor Sarajevo zum Rückzug ihrer Geschütze gezwungen hat – die russische Diplomatie hat beim glücklichen Ausgang dieses riskanten Spiels eine große und positive Rolle gespielt. Gelang es doch dem stellvertretenden russischen Außenminister Tschurkin, das Offensichtliche, nämlich das Zurückweichen der Serben angesichts drohender Luftangriffe, als Ergebnis von Verhandlungen auszugeben und damit den serbischen Potentaten das Gesicht zu retten.

Sicher verfolgt die russische Regierung das Ziel, Serbien als regionale Hegemonialmacht zu etablieren. Sie bewegt sich damit in den traditionellen Bahnen der russischen Balkan-Diplomatie. Aber Interpretationen, die sich nur an die angeblich vorgegebenen Konstanten der „Geopolitik“ halten, verfehlen oft genug die Motive der Handelnden. Im Fall Rußlands ist das Jugoslawien-Engagement heute nur ein Vehikel, um eine 1989 bis 1991 untergegangene Konstellation, die Dominanz zweier Supermächte, wenigstens auf dem Balkan wieder zu beleben.

Am Morgen nach der Bombardierung des serbischen Feuer-Leitsystems südlich von Goražde teilte Präsident Jelzin mit, „solche Fragen dürfen nicht ohne vorhergehende Konsultationen zwischen den USA und Rußland entschieden werden. Darauf habe ich bestanden, darauf bestehe ich.“ So vernünftig die Forderung nach Konsultationen an sich ist – der apodiktische Ton und die Selbstverständlichkeit, mit der die USA und Rußland als einzig wichtige Akteure benannt werden, zeigen eine allzu vertraute Sprache. Wie um Verdächtigungen dieser Art auszuräumen, verschanzt sich Jelzin hinter der UNO. „Alle Probleme“ sagt er, „müssen streng im Einklang mit den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats gelöst werden.“ Clinton, so Jelzin, habe ihm am Telefon nicht sagen können, ob der Angriff der amerikanischen Flugzeuge vom UNO-Generalsekretär genehmigt worden sei.

Egal wie gut das Erinnerungsvermögen Clintons ist: Butros Ghali hat an den vorausgehenden Tagen Luftangriffe auf die Goražde bedrohenden serbischen Truppen ausdrücklich gebilligt. Er bezog sich dabei nicht nur auf den Beschluß des Sicherheitsrats vom Mai 1993, der die Stadt zur Sicherheitszone erklärte, sondern auch auf die Resolution836 vom Juni 1993, die im Fall von Angriffen auf Schutzzonen zur militärischen Intervention ermächtigt.

Ginge es Jelzin um die UNO, seinem Tatendrang wären kaum Grenzen gesetzt. Rußland könnte zu der Ständigen Eingreiftruppe beitragen, die Butros Ghali seit zwei Jahren fordert. Es hätte wenigstens Truppen nach Goražde schicken können, wo sich seit Monaten kein Unprofor-Soldat mehr blicken läßt. Nicht die UNO interessiert Jelzin, sondern wie das amerikanisch-russische Dominium der Konfliktbeherrschung und -kontrolle ein weiteres Mal errichtet werden kann. Aber leider ist es niemandem vergönnt, zweimal in den gleichen Fluß zu steigen, und eine Rückkehr zur bipolaren Welt, zu den schönen Tagen vor 1989, kann und wird es nicht geben. Christian Semler

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