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Jean-Philipp BaeckWarumEin Ungeheuer mit Hunger auf Geld und Verstand

Über Tote soll man nicht schlecht reden. Vor einigen Wochen lasen wir, dass der Wahl-Hamburger Meinhard von Gerkan gestorben ist, Architekt unter anderem des Berliner Hauptbahnhofs. Wir wurden daran erinnert, dass er den Bahnhof eigentlich noch viel schöner geplant hatte, die Bahn aber sparen musste.

Es gäbe viel zu sagen zum Hauptstadtbahnhof, zu den gefährlich engen Stellen auf den Bahnsteigen der obersten Etagen, zu einem Rolltreppen-Labyrinth, das der Zauberschule von Hogwarts würdig ist, realen Muggeln aber den Verstand raubt.

Ich aber hatte andere Probleme. An einem der vergangenen Wintertage wollte ich per Zug nach Bremen. Draußen zeigte das Thermometer Minusgrade, wobei draußen und drinnen eben am Berliner mehr noch als an allen anderen Bahnhöfen zu einer akademischen Kategorie verkommt: Es ist zugig, es ist kalt und ungefähr so einladend wie in einem Ork-Bergwerk aus „Herr der Ringe“.

Dort allerdings haben sie Lagerfeuer. Die sind am Hauptbahnhof nicht üblich, was jedenfalls ein Jammer war an jenem kalten Tag, an dem mein Zug 67 Minuten Verspätung hatte.

Ich musste also auf meinen Zug warten. Eine Durchsage warnte: Organisierte Bettelgruppen seien unterwegs, denen man kein Geld überlassen solle. Schon bald sah ich sie, war umzingelt, versuchte, sie keines Blickes zu würdigen, aber Gerkan und Bahn hatten ihr Bestes gegeben, um mich in die Falle zu locken: Douglas, Gerry Weber, Bijou Brigitte, Tchibo, Vapiano. Sie alle wollten an mein Geld. Ich aber plante, konsumlos zu warten.

Hinter einer Glastür am Ende eines schmalen Ganges begrüßte mich eine freundliche Bahnmitarbeiterin. Eine Wolke warmer Luft umschmeichelte mich, ich sah temperiertes Licht über einem geschwungenen Tresen. Glückliche Gesichter, teure Mäntel – nur nicht für mich. Ein 1.-Klasse-Ticket zum Flexpreis müsse es schon sein, erklärte die freundliche Bahnmitarbeiterin.

Der öffentliche Wartebereich? Zwei Stockwerke weiter unten. Erneut vorbei an den bettelnden Gruppen. Ganz hinten, im vorletzten Untergeschoss, wo die Flure leerer werden, umzirkelten zwei Meter hohe Glaswände eine Sitzgruppe. 12 Plätze links, 12 rechts, in der Mitte eine ICE-Attrappe für Kinder. Für 300.000 Reisende pro Tag.

Zwei Frauen und ein Mann wärmten sich die Hände an einem fest installierten Heizstrahler, in dem glühende Stäbe wie an einer futuristischen Feuertonne ein bisschen Hoffnung spendeten. Auch hier drohte ein Schild, dass der Aufenthalt nur mit gültigem Fahrausweis gestattet sei. Nicht, dass ein paar Dahergelaufene sich hier, in dieser dystopischen Endzeitstimmung zwischen Rewe und Rossmann, kostenlos ein schönes Leben machten.

Warum ist der Berliner Hauptbahnhof so sozialdarwinistisch abweisend, kalt, zugig und bietet keinen anständigen Aufenthaltsraum?

Es ist zugig, es ist kalt und ungefähr so einladend wie in einem Ork-Bergwerk aus „Herr der Ringe“

Anfrage bei der DB-Pressestelle. „Für den Berliner Hauptbahnhof ist die Anzahl an Sitzplätzen bereits großzügig dimensioniert und unter Einbezug verschiedenster Interessensgruppen ist ein Kompromiss gefunden zwischen Platzbedarf vs. Platz- und Energieverbrauch“, heißt es von der Bahn. Der erwähnte Wartebereich sei „kein Provisorium“, sondern beim Neubau so geplant. 2020 wurden im nördlichen Bereich noch mal 24 Sitzplätze errichtet. Und: Laut Kundenbefragung würden die Qualität der Wartebereiche und Sitzmöglichkeiten im Hauptbahnhof überdurchschnittlich bewertet.

„Gemäß der Richtlinien“ sei keine Öffnung der DB Lounges für alle geplant, erklärt ein Sprecher und verweist auf weitere Sitzmöglichkeiten: „Moderne Bänke“ auf jedem Gleis in ausreichender Menge „gemäß den Richtlinien“.

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