piwik no script img

Je älter, desto besserVerheißung der Vergreisung

Die Schriftstellerin Thea Dorn singt im "Spiegel" ein Hohelied auf sturmerprobte männliche Intellektuelle. Was haben diese Männer, was die Jüngeren nicht haben?

"Das Problem der Jüngeren ist," so Thea Dorn, "dass sie sich von nichts mehr erschüttern lassen." Bild: dpa

Sind Intellektuelle das "Hirn und Rückenmark einer Demokratie", und wenn ja, warum sind sie so alt und zumeist männlich? Diesen und anderen Fragen geht die Schriftstellerin und Talkshowmoderatorin Thea Dorn in einem aktuellen Spiegel-Essay nach. "Jedes der Gespräche," schreibt sie, "das ich mit Martin Walser, Joachim Fest, Hans Magnus Enzensberger, Ralf Dahrendorf, Klaus Harpprecht oder Robert Spaemann geführt habe, hat mich stärker berührt und in einer anderen Weise zum Nachdenken gebracht. Was haben diese Männer, was die Jüngeren nicht haben?"

Ja, was haben die denn, was die Jüngeren nicht haben? Um dies zu klären, beruft sich Dorn zunächst auf Fritz J. Raddatz, geboren 1937. Laut Raddatz hätten die Nachgeborenen in ihrem Leben keinen "existenziellen Riss" erfahren. "Brennende Menschen", Bombensplitter und so weiter. Ein echter Intellektueller muss also durchs Stahlgewitter gehen.

Nun, ganz so will es Frau Dorn dann doch nicht formulieren. Der wahre Kern des Problems scheint ihr vielmehr in dem zu liegen, was der Schriftsteller Hans Christoph Buch, geboren 1944, so formuliert habe: "Die neunmalklugen Autoren der jüngeren Generation fanden mein Beharren auf Augenzeugenschaft hoffnungslos naiv - für sie war alles nur eine Frage der Textstruktur." Hier liege, so Dorn, das zentrale "Defizit der Jüngeren": "Das Problem ist," schreibt sie, "dass sie sich von nichts mehr erschüttern lassen." Nicht von 11/9, nicht von der Finanzkrise, so dass der Betrieb durchweg auf ältere Herren zurückgreifen müsse.

Es ist zu bezweifeln, dass Hans-Christoph Buch dasselbe wie Dorn gemeint hat, mit seinem "Beharren auf Augenzeugenschaft". Wahrscheinlich ging es ihm um die Forderung nach einer sozialhistorischen Recherche vor der Literarischwerdung, was ja verständlich wäre und zum Beispiel in der US-Literatur eine lange Tradition besitzt.

Zumindest mag man Buch nicht für so einfältig halten, dass er dafür votiere, man dürfe nur darüber schreiben, was man auch selbst erlebt habe. Denn: Emphase entsteht durch Beschäftigung, je intensiver, desto leidenschaftlicher. Dazu gehören Theorie und Abstraktionsvermögen. Aber warum soll dies, wie Dorn behauptet, ein Privileg der älteren Generation sein und ausgerechnet der Poststrukturalismus der Feind? Wissen wir nicht erst seit Walsers Paulskirchenrede, wie es um dessen intellektuelles Vermögen zur historischen Selbsterkenntnis bestellt ist? Was fühlt also Frau Dorn, wenn solche Marken der Zeitgeschichte auf ihrem Sofa Platz nehmen? Ist es die wohlige Wärme des Paternalismus, ein millionenfach durch den Betrieb gejagtes Ego, das ob seiner Bedeutung nicht mehr hinterfragt werden muss? Dorns Denkmalprogramm ist ziemlich einfach: Durchgesetzte Macht ist sexy.

Nicht dass ältere männliche Großhirne nichts Bedenkenswertes oder Amüsantes von sich geben könnten - wie am Sonntagabend Marcel Reich-Ranicki im TV. Doch Frau Dorn sollte vielleicht einfach mal etwas ganz Irres, ganz Mutiges tun: mit jüngeren intellektuellen Frauen über deren Problem sprechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • M
    Matt

    Selten heutzutage, dass in einem Artikel das Wort "intellektuell" nicht gleich mehrmals zitiert und der erörterte schlichte Sachverhalt bis zum Unleserlichen hin vergeistigt wird.

    Was macht den vorliegenden Fall so kompliziert? Ist es es etwa nicht wahrscheinlich, dass ein Älterer die Welt etwas erfahrener durchschaut als ein Jüngerer? Eines Tages wird auch dieser dann älter und erfahrener sein. Und so geht das schon ziemlich lange, wie unter anderem - nur so als Beispiel - die Bibel verrät.