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Archiv-Artikel

Jazz summen

Amiri Baraka, einer der letzten noch lebenden Beat-Poeten, las im Haus der Kulturen der Welt. Doch leider nur für ein kleines Publikum, das verschworene Minderheit spielte

Das Black Atlantic Festival im Haus der Kulturen der Welt ist ein bisschen neben den anderen Großereignissen in der Stadt untergegangen. Auch am Dienstag, als Amiri Baraka zu Gast war, war dies spürbar – trotz hervorragender Organisation war der Theatersaal gerade mal zu einem Drittel besetzt.

Das ist leicht zu erklären – man kennt Baraka hier nicht, obschon er ein ungebeugter Kämpfer ist, eine bedeutende Stimme der Black Poetry nicht nur in den 60er- und 70er-Jahren, sondern auch in der Gegenwart. Doch nicht nur dass seine Werke mit Ausnahme der „Blues People“ so gut wie gar nicht übersetzt worden sind, auch in den hiesigen englischsprachigen Bibliotheken ist er schwer zu finden. Dabei ist Baraka, der vor 70 Jahren als Everett LeRoi Jones geboren wurde, sogar für Beatnik-Freunde interessant, war er doch als Freund und Verleger von Allan Ginsberg oder Jack Kerouac tätig, bevor er sich in den Sechzigerjahren von den weißen Beatniks abwandte und sich dem schwarzen Widerstand anschloss. Er nannte sich fortan Amiri Baraka, liebäugelte mit dem Islam, wandte sich dann Mitte der Siebzigerjahre, vom Konservativismus und der Verlogenheit der US-amerikanischen Black Muslims enttäuscht, dem Marxismus zu.

Sein Berliner Auftritt war der Auftakt einer kleinen Deutschland-Tournee, denn sein Buch „Blues People“ ist soeben wieder im Verlag Orange Press auf Deutsch erschienen. Baraka präsentierte sich, wie zu erwarten – er bekannte sich zum Kommunismus, beschimpfte die Reichen, machte in seinen Statements und in den Poems Reverenzen an Martin Luther King, Malcom X, Lenin, Mao. Eine große Rolle spielte der Jazz in seinem Vortrag. Mit den sexistischen Statements, mit denen er sein Werk in den 70er-Jahren – nun ja – würzte, hielt er sich auffällig zurück.

Er las auch aus seinem Poem „Somebody blew up America“, das im Jahr 2002 für einen Skandal sorgte: Baraka fragt, wer den Terror finanziert, wer vom Hunger profitiert etc. Nun fällt Verschwörungstheoretikern die Antwort darauf stets leicht: Die Juden seien die Profiteure des Krieges, ja, des Bösen überhaupt. Da Baraka diese Spinner durch seine einfache Interpretation der Begriffe Kapitalismus und Imperialismus bedient, wird ihm in den USA vorgeworfen, er sei Antisemit. Was so nicht stimmt. Baraka allerdings macht den Fehler vieler Agitatoren im Dienst der „Wahrheit“ – er vereinfacht so lange, bis seine Gedanken Parolen geworden sind.

In Rom, sagte Baraka, der seine Gedichte mit nachgesummten Jazzstandards einleitete, werde er in einigen Tagen zusammen mit Archie Shepp und anderen Free-Jazz-Legenden auftreten, ein Konzert, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Wahrscheinlich. Hier, im Haus der Kulturen der Welt, herrschte allerdings eine kritiklose Einigkeit im Publikum vor, die langsam unangenehm wurde. Auch als Baraka die Poetin Gina Ulysse für einen wunderbaren Kurzvortrag auf die Bühne bat und als die Moderatorin RonAmber Deloney selbst ein längeres Gedicht vortrug, blieb man sich merkwürdig einig, obschon die Frauen nicht alle Ansichten Barakas zu teilen schienen.

Es war nicht die Sprache, die allen Nichtenglischsprachigen die Kritik verbat, es war Dummheit. Selbst der billigste Bush-Witz wurde herzlich belacht. Baraka agitierte ein Publikum, das schon agitiert war und in ihm ein Mitglied einer Minderheit sah, das durch diesen Minderheitenstatus die hiesige Mehrheitsmeinung absegnete. Insofern musste ja jemand aus dem Publikum Baraka selbstverständlich mit dem naiven Michael Moore vergleichen. Baraka hat, bei aller Kritik, einen solch kurzsichtigen Vergleich nicht verdient.

JÖRG SUNDERMEIER